ORCHIDEEN EUROPAS
EXKURSIONSBERICHTE
 

 

 

Eine unglaubliche Geschichte

von

Dr. Helmuth Zelesny, Börtlingen

 

 

Und jetzt noch eine kuriose Geschichte, die zeigt, wie's manchmal so geht. Wir sind auf dem Kinderspielplatz. Das dauert zwei Stunden, alle Geräte müssen natürlich ausprobiert sein. Erst mittags, nach dem Vesper, brechen wir auf, hinauf auf einer der schönsten Passstrassen der Alpen. Geplant ist eigentlich kein längeres Orchideensuchen. Zum einen wegen der jetzt knappen Zeit, zum anderen, weil die großartige Hochgebirgslandschaft hier im Vordergrund steht. Außerdem muss man mit Familie Kompromisse machen, stundenlanges Orchideensuchen ist nicht. So fahren wir die Kehren aufwärts. Immer wieder Orchideen am Straßenrand, insbesondere Dactylorhiza maculata.

 

Dann, auf der Innenseite einer Kehre, ist alles übersät mit roten Blütenkerzen - Orchideen. Die Fläche ist nicht groß, vielleicht 35 Quadratmeter. Ein Massenbestand von rund 300 Dactylorhiza maculata, diagnostiziere ich im Vorbeifahren und überlege, dass wir bei der Rückfahrt, wenn noch Zeit ist, diese Pracht doch fotografieren sollten. Es geht weiter und die Fläche gerät in Vergessenheit. Dann bei der Rückfahrt, es ist schon recht spät, alle haben Hunger und es ist kühl, scheint die Sonne gerade mitten auf den Orchideenbestand. Die roten Kerze glühen förmlich. Außerdem gibt es eine Haltemöglichkeit direkt gegenüber der Kehre. Also Blinker raus und anhalten. Ich sage noch zu Frau und Kind, sie könnten ruhig sitzen bleiben, ich wäre gleich wieder da. Ich steige also aus, nur mit Weitwinkel und Stativ ausgerüstet, denn es soll ja nur eine schnelle Aufnahme des ganzen Bestandes werden. Nahaufnahmen von Dactylorhiza maculata habe ich schon zu Hauf in meinem Archiv. Als ich im Bestand stehe, erkenne ich, dass nur zwei Drittel der Blüten zu Dactylorhiza maculata gehören. Ein Drittel ist Gymnadenia conopsea. Nach den Fotos schaue ich mich doch noch kurz um und finde zuerst zu meiner Überraschung einen herrlichen Gattungshybriden zwischen Gymnadenia conopsea und Dactylorhiza maculata. Jetzt muss doch noch die gesamte Fotoausrüstung her, der bereits weggepackte Kugelblitz wird tätig.

 

 

Dann fällt mir noch eine Dactylorhiza maculata auf, recht dunkelblütig, mit großen Blüten, eher locker, die Seitenlappen stark herabgeschlagen. Sieht von Ferne fast aus wie eine Orchis morio mit Streifen statt Punkten auf der Lippe, was natürlich nicht sein kann. Auch die wird fotografiert. Was es genau ist, weiß ich bis heute nicht. Und dann entdecke ich noch eine Pflanze, die ich für eine mutierte Dactylorhiza maculata halte. Schmale Blätter, gedrungener Wuchs, dichte, kurze Blütenähre, Blüten sehr dunkel und nach allen Richtungen gedreht. Auch das wird natürlich fotografiert.

 

 

Dann fahren wir weiter die Kehren hinab. Dann fällt mir ein, dass ich die Kamera bei unserem letzten Halt nicht kontrolliert hatte. Immer wieder passiert es nämlich im Eifer des Gefechtes, dass sich das Rädchen zur Einstellung der Verschlusszeiten bei der F4 verstellt. Bei der F3 kam dies nicht vor, es wird halt kaum was besser. Da ich keinen Automatikblitz habe, muss die Synchronzeit von Hand eingestellt werden. Steht das Rädchen unbeabsichtigt auf einer Zeit kürzer als 1/250, besteht die Gefahr, dass die Bilder nichts werden. Ich halte also an, denn der Gattungshybride zwischen Gymnadenia und Dactylorhiza ist mir schon wichtig. Und tatsächlich, das Rädchen steht auf 1/500, so ein Mist. Was tun? Die Familie hungert, es wird gleich dunkel. Fluchend kehren wir um, um nochmals die Kehren hochzufahren und einige wenige Bilder zu machen, diesmal mit der richtigen Belichtungszeit. Ich nehme die Gymnodactyla und auch gleich noch mal die beiden "komischen " Dactylorhiza-Pflanzen auf. Mit einstündiger Verspätung geht's dann zum Essen.

 

 

So weit, so gut, aber die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Zuhause - die Fotos sind noch nicht entwickelt - blättere ich mal wieder in den Bestimmungsbüchern. Dies tue ich ab und zu, meist abends vor dem Zubettgehen. Aktuell beschäftigen mich die Dactylorhiza-Pflanzen, denn da blickt ja kaum einer durch, insbesondere im Hochgebirge. Als ich bei der Seite 447 mit den Hybriden in Delforge's Orchideenbuch ankomme, erschrecke ich fast. Dort ist genau die Pflanze abgebildet, die ich als "komische" Dactylorhiza maculata fotografiert habe. Dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen und mir wird plötzlich klar, dass ich mit großer Wahrscheinlichkeit etwas ganz besonderes und seltenes gefunden hatte, einen Gattungshybriden zwischen Nigritella rhellicani und Dactylorhiza maculata. Nach einem Hybriden zwischen Coeloglossum viride und Dactylorhiza hatte ich immer wieder Ausschau gehalten, und nun das. Völlig überraschend und vor Ort noch nicht mal erkannt! Übrigens sind alle Fotos gut geworden, so dass ich jetzt mehr Fotos dieses Hybriden habe als ich normalerweise gemacht hätte. Übrigens dürften wir diesen Fund dem schlechten Wetter zu verdanken haben - ohne Witz! Wäre es nämlich schön gewesen, hätten wir bestimmt - schon wegen unseres Sohnes - eine Wanderung unternommen und hätten dann bei der Rückfahrt gar keine Zeit mehr gehabt, anzuhalten. So aber sind wir bei Temperaturen knapp über Null Grad und böigem Wind beim Parkhaus am Ende der Straße nur kurz ausgestiegen, um ihn wenigstens zu sehen, den Gletscher. So kann's gehen.

 

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