ORCHIDEEN EUROPAS
EXKURSIONEN
 

 

 

Bericht über eine Orchideenreise nach

Sizilien

im April 1999

Teil V

von

Dr. Helmuth Zelesny, Börtlingen

 

Mittwoch, 14. April

Heute haben wir also was grösseres vor. Ziel ist die Gegend von Palermo. Einmal wollen wir uns die Berglandschaft dort ansehen, zum anderen die Orchideenflora, die sich doch vom Süden unterscheidet. Insbesondere Ophrys pallida, die es nur im Nordwesten der Insel gibt, und die schöne und seltene Ophrys explanata hoffen wir zu finden. Bei sonnigem und windstillem Wetter geht's bereits um 7 Uhr los. Als wir die Landstrasse von Buccheri abwärts Richtung Catania fahren, sehen wir zum ersten Mal den alles überragenden, majestätischen Ätna ohne Wolken. Im Vordergrund Orangenbäume, dieses so typische Bild muss gemacht werden.

Über die Autobahn Catania - Enna - Termini geht es Richtung Palermo, und zwar recht chaotisch. Es gilt das Motto: Wer bremst, verliert. Wichtigstes Bauteil an den Autos sind Lichthupe, Hupe und Blinker links. Doppelt durchgezogene Linien sind reine Zierde. Man tut gut daran, andauernd alle Richtungen zu beobachten. Es ist kaum zu glauben, woher die ganzen Autos plötzlich im Rückspiegel auftauchen. Und es gilt dreispuriger Verkehr auf allen Strassen. Wer am schnellsten zum Überholen ansetzt, hat Vorfahrt. Der entgegenkommende hat dann gefälligst äusserst rechts zu fahren, damit alle drei Fahrzeuge nebeneinander Platz haben. Trotzdem haben wir während unseres Aufenthaltes keinen Unfall gesehen. Die Reaktion macht's halt.

 

Orchis lactea

Orchis lactea ist auf Sizilien häufig und wächst oft in Gesellschaft mit Orchis longicornu. Meist sind die Exemplare nicht so stattlich wie dieses hier

 

In der Gegend von Enna wird deutlich, dass es im Winter ungewöhnlichen Frost gegeben haben muss. Die Blätter fast aller Eukalyptusbäume sind braun, ein trauriger Anblick. Als erstes steuern wir den Monte Catalfano nördlich Bagheria an. Von dort haben wir nämlich eine, wenn auch vage Fundmeldung von Ophrys explanata. Die Fahrt dorthin gestaltet sich allerdings recht mühsam. Wir landen schliesslich auf einem steilen Strässchen, das hinaufführt zu einem Steinbruch und einigen Wochenendgrundstücken. In einem Kiefernwäldchen sehen wir uns näher um. Es ist wohl ein Versuchsgelände der Forstverwaltung. Offensichtlich wird hier ganz gezielt im Schutze der Kiefern die einzige einheimische Palme des Mittelmeerraumes, Chamerops humilis, regelrecht gezüchtet. Einige Pflanzen blühen gerade, ein nicht alltäglicher Anblick. An Orchideen gibt es nicht viel, leider auch nicht Ophrys explanata. Macht nichts, man kann eben nicht alles haben.

 

Romulea bulbocodium

Groß ist sie nicht, die Blüte von Romulea bulbocodium und leicht zu übersehen

 

Wir fahren weiter zu einem der bekannten Standorte der seltenen, endemischen Ophrys pallida. Wir folgen der 23 Jahre alten (!) Skizze aus der Literatur und finden tatsächlich den Ort. Aber schon die Anfahrt hat uns wenig Hoffnung gemacht, denn der gut eingezäunte Manna-Eschenwald (Fraxinus ornus) scheint stark überweidet durch Jungrinder und Schafe zu sein. Wo sollen da noch Orchideen stehen? Wir haben mächtig Hunger, aber die Neugierde ist doch zu gross. Erst wenn wir Ophrys pallida gefunden haben, ist an essen zu denken. Schon nach wenigen Metern dann die erste, in Vollblüte, als Aperitif sozusagen.

Es gibt also doch noch Orchideen hier. Aber das Gebimmel der Weidetiere ganz in der Nähe beunruhigt uns. Bevor die letzten Reste der Orchidenflora abgefressen sind - ein Horrorszenario für jeden Orchideenliebhaber - wollen wir wenigstens ein paar Fotos machen. Erst nachdem das getan ist, können wir beruhigt vespern, sie wissen schon: Weissbrot mit allen Zutaten ...... Und wir finden noch einen botanischen Leckerbissen in den Grasstreifen am Wegesrand, nämlich die hübsche Romulea bulbocodium.

 

Paeonia mascula

Pfingstrosen dagegen sind nicht zu übersehen. Es gibt eine ganze Reihe von Wildformen, auf Sizilien wächst Paeonia mascula

Besonders interessant ist vor allem ein Bereich, der erst vor kurzem entbuscht und offensichtlich noch nicht so intensiv beweidet wurde. Hier finden wir die schönsten Ophrys exaltata unserer Exkursion. Hier oben beginnt der Affodill erst aufzublühen. Auch Ophrys pallida und Orchis italica beginnen teilweise erst zu blühen, ein deutliches Zeichen, dass die Vegetation wenigstens 10 - 14 Tage im Verzug ist.

 

Auf der Suche nach einem schönen Bestand von Mittelmeerveilchen (Cyclamen repandum) fahren wir noch ein Stück weiter hinauf in den dichter werdenden Wald, in dem zunehmend Eichen dominieren. Wir machen uns gerade auf, die schönsten Veilchen zu fotografieren, da entdecken wir zu unserer grossen Überraschung einige blühende Pfingstrosen (Paeonia mascula). Die Sonne scheint gerade durch eine Baumlücke hinein, so als wollte sie uns diese herrlichen Pflanzen besonders gut ins Licht stellen. Wie freundlich und welch eine Pracht.

Wir fahren weiter nach Piana degli Albanesi, und das, obwohl wir gewarnt wurden, gerade diese Gegend wegen der hohen Kriminalität zu meiden. Aber was soll man machen, wenn gerade hier unsere Blumen wachsen. Aber es wird übertrieben. Wir haben während der ganzen Reise niemals den Eindruck, besonders gefährdet zu sein. Kritische Situationen erleben wir keine, aber wir sind auf der Hut. Kofferraum und hintere Seitentüren sind auch während der Fahrt verriegelt und das Auto bleibt nie länger ausser Sichtweite. Wir wollen ja nicht provozieren.

 

Jetzt sind wir auf der Suche nach Orchis brancifortii, die an verschiedenen Stellen in dieser Gegend angegeben wird, unter anderem bei einer Kapelle auf dem Weg nach Palermo, kurz nach Piana. Wir machen uns auf Endeckungstour. Trotz intensiver Suche finden wir zwischen den Kalkfelsen keine Spur von Orchis brancifortii. Dabei ähnelt der Standort sehr der Hochfläche des Monte Gargano, wo die eng verwandte Orchis quadripunctata recht häufig vorkommt. Dafür entdeckt Robert etwas, das wir nicht mehr zu finden gewagt haben: Voll erblühte Orchis collina! Wieder eine neue Art für seine Sammlung. Wir fragen uns, was die hier noch blühend macht.

 

Fresien ??

Für Verwirrung sorgte diese Pflanze. Sollte es sich um eine Wildform unserer Fresien handeln? Die italienischen Floren sagen nein.

Ophry lutea und Ophrys sicula

Der direkte Vergleich zeigt den Größenunterschied zwischen Ophrys lutea (rechts) und Ophrys sicula besonders gut. Typisch auch die fast waagrecht orientierte Blütenlippe bei Ophrys sicula, während die bei Ophrys lutea fast senkrecht ausgerichtet ist.

Nächstes Ziel ist die Gegend um den Paso di Sagana, wo sich die Literaturangaben wieder häufen. Hier werden wir aber herb enttäuscht. Alles ist Privatbesitz und für eine Suche weniger geeignet. Wir wollen doch nicht, dass uns gar noch ein Hund anfällt. Offensichtlich hat die Gegend nicht mehr die grosse Bedeutung für Orchideensucher wie noch vor 15 Jahren. Viel ist verbaut, die Beweidung der restlichen Fläche hat zugenommen.

So recht zufrieden sind wir nicht heute. Die Ausbeute für 685 Kilometer Fahrt erscheint uns eher dürftig. Aber es gibt halt Tage, an denen findet man weniger als an anderen. Im übrigen sind wir von den Tagen zuvor reichlich verwöhnt. Über Monreale fahren wir zurück auf die Autobahn, allerdings nicht ohne uns mit frischen Orangen am Strassenrand einzudecken. Doppelt so teuer wie bei Niscemi wenige Tage zuvor, Palermo lässt grüssen, aber dennoch spottbillig im Vergleich zu unseren Ladenpreisen. Es ist längst dunkel, als wir die Bergstrasse von Catania hinauf nach Buccheri fahren. Schmale Strasse, keine Leitplanken, Leitlinien oder Leitpfosten, keine Hinweise auf scharfe Kurven, da macht Autofahren noch Spass, wenigstens für den Fahrer. Punkt 9 Uhr stehen wir vor unserer Literpulle vino della casa. Na denn Prost.

 

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