ORCHIDEEN EUROPAS
EXKURSIONSBERICHTE
 

 

 

Bericht über eine Orchideenreise nach

Sizilien

im April 1999

Teil VIII

von

Dr. Helmuth Zelesny, Börtlingen

 

Samstag, 17.April

Letzter Tag, leider schon. Beim Blick aus dem Fenster dann die erste Überraschung. Es ist kühl, keine Wolke steht am Himmel und es ist klare Sicht. Keine Spur mehr vom sandigen Scirocco, der die Sicht trübt. Na wunderbar, dann können wir doch noch zum Ätna. Es wäre ja auch eine Schande gewesen bei einer Woche Sizilien. Aber zuerst kommt der Muntermacher, Kaffee vom Chef. Dann packen wir unsere Koffer und zahlen insgesamt 916.000 Lire, macht umgerechnet rund 65 DM pro Person und Tag. Für Halbpension auf Sizilien ist das o.k.. Bevor wir dann abfahren besteht der Chef noch auf ein Gruppenfoto. Mit dem herzlichen Gruss und der Zusage, wir seien jederzeit herzlich kommen, verabschieden wir uns.

 

Natternkopf, nur welcher?

Auf dem Weg hinauf zum Ätna, Blick hinunter über Lavafelder auf Catania

Da fällt uns ein, dass wir noch nicht mal ein Foto von Buccheri mit seiner schönen Umgebung am Monte Lauro gemacht haben. Das wollen wir noch nachholen. Vom Castel hoch über der Stadt sollten wir eine gute Aussicht haben. Tatsächlich hat man von hier einen schönen Rundblick über Buccheri, die Berge um den Monte Lauro bis hinüber zum Ätna, der heute wegen der guten Sicht besonders nahe scheint. Beim Aufstieg schauen wir auch nach Orchideen, haben wir den Hügel doch immer wieder vom Zimmerfenster aus gesehen und vermutet, es müsste dort auch Orchideen geben. Es hätte uns vermutlich ziemlich geärgert, wenn uns ein Kollege erzählt hätte, dass es genau auf diesem Hügel was ganz besonderes gegeben hätte in diesem Frühjahr. Viel gibt es nicht, nur ein paar aufblühende Ophrys fusca (bilunulata).

Dann fahren wir Richtung Ätna. Wir wollen die Auffahrt von Nicolosi hinauf zur Bergstation der Seilbahn nehmen. Die Anfahrt gestaltet sich aber mal wieder äusserst schwierig. Nachdem wir mehrfach vergeblich in Catania einen Weg gesucht haben, nehmen wir die Autobahn Richtung Palermo bis zur Ausfahrt Motta Sant Anastasia. Kurz vor Belpasso halten wir. Rechts der Strasse steht Ferula communis und die Baumwolfsmilch (Euphorbia dendroides) in voller Blüte. Die Baumwolfsmilch schützt sich übrigens besonders trickreich vor der sengenden Sommerhitze. Jetzt im Frühjahr wirft sie ihre Blätter ab, um so die tödliche Verdunstung über die Blätter zu verhindern. So wie bei unseren Laubbäumen, die im Herbst ihre Blätter werfen, ist die vorausgehende Blattverfärbung besonders schön anzusehen. Nur ist es hier nicht die Herbst-, sondern die Frühjahrsfärbung.

 

Ätnaveilchen

Das Ätnaveilchen kommt nur hier oben und sonst nirgends auf der Welt vor.

 

Ferula communis, die kupferfarbenen Euphorbia dendroides, der Ätna im Hintergrund, die Feigenkakteen und der strahlend blauen Himmel. Das gibt herrliche Landschaftsaufnahmen. Obwohl Lavagestein ansteht, sind Orchideen nicht selten. Insbesondere Serapias vomeracea ist häufig und wegen der nach Süden exponierten Lage schon weit aufgeblüht.

 

Auf landschaftlich herrlicher Strecke geht es hinauf zum Ätna, immer wieder eine Portion Schwefelwasserstoff in der Nase. Schliesslich ist der Berg gerade aktiv, zähe Lava tritt aus einem Nebenkrater im Nordosten aus und fliesst langsam zu Tal. Wenigstens zwei botanische Leckerbissen wollen wir heute noch finden. Zum einen Dactylorhiza romana - Robert braucht noch eine rote - die hier vorkommen soll und das Ätnaveilchen (Viola aethnensis ssp. aethnensis) aus der Gruppe der Viola calcarata. Das erste Veilchen finden wir zu unserer Freude noch südlich des Refugio, in der noch braunen Grasnarbe. Oben hat sich ein kleiner Rummelplatz entwickelt mit einer ganzen Anzahl von Touristenbuden. Das kommt mir gerade recht, denn ich will Dominik unbedingt noch wenigstens ein Ätna-T-Shirt mitbringen. Es wird sogar ein Ätna-Jogginganzug.

Die Abfahrt ist dann botanisch interessanter. Während in den höheren Lagen ein noch blattloser Ginster bestandsbildend ist, mischen sich mit abnehmender Höhe immer mehr Esskastanienbäume und Buchen dazu. An der Abzweigung kurz nach den Buden halten wir wegen eines Landschaftsfotos. Das war wieder einmal goldrichtig, denn wir entdecken am Hang links der Strasse einige schöne Gruppen des Ätnaveilchens. Sogar ein hellgelb blühendes Exemplar ist darunter. Interessanterweise gibt es auf Sizilien ein zweites endemisches Veilchen, nämlich Viola nebrodensis, das wie der Name schon sagt an einigen Stellen in den Nebroden vorkommt. Es ist schon erstaunlich, fast jedes Gebirgsmassiv hat sein endemisches Veilchen.

 

Ophrys speculum und Ophrys atrata

Auch in gelb haben wir Viola nebrodensis vereinzelt gefunden

In einem kleinen Wäldchen sehen wir uns näher um. Es liegt direkt neben einem Privatgrundstück, das mit einer Mauer mit einbetonierten Glasscherben umgeben ist. Von Ferne glauben wir Dactylorhiza romana zu erkennen. Die nähere Betrachtung macht uns dann stutzig. Wir stellen fest, dass es sich bei den meisten Pflanzen um Mischformen zwischen Dactylorhiza sambucina und Dactylorhiza romana handeln muss. Nur vereinzelt findet man Pflanzen, die man als "clean" bezeichnen könnte, wobei von Dactylorhiza romana hier nur rotblühende Exemplare stehen. Bei den Blütenfarben der Hybriden überwiegen zartrosa Töne, offensichtlich die Mischung aus gelben D. sambucina und roten Tönen der Dactylorhiza romana.

 

Wieder zuhause finde ich unsere Beobachtung bestätigt. In den Jahresberichten des Naturwissenschaftlichen Vereins in Wuppertal 1995 steht in einem Artikel über den Stand der Orchideenkartierung auf Sizilien, dass "... insbesondere in den sommergrünen Bergwäldern der Madonie und Nebroden unvorstellbar individuenreiche Hybridpopulationen zu finden sind, woraus ein spektakuläres Mischphänomenen vom Rang eines sizilianischen Naturerbes entstanden ist." Übrigens sind sowohl Dactylorhiza sambucina alsauch Dactylorhiza romana auf den Nordwesten der Insel beschränkt. Wir fotografieren fleissig.

Wir haben mächtig Kohldampf. Das Esskastanienwäldchen, das wir für unser Picknick ausgesucht haben, ist darüber hinaus auch botanisch sehr interessant. Neben Dactylorhiza romana (nur in rot!) und Mischformen mit Dactylorhiza sambucina finden wir hier auch die ersten und einzigen echten Orchis morio unserer Reise. Es dürfte das südlichste Vorkommen dieser Art auf der Insel sein, denn sie ist nur im Nordosten zu finden, dort allerdings in jedem Quadtanten und auch an der Küste. Weshalb die Art ein so enges Verbreitungsgebiet hat, ist bislang ungeklärt.

 

Einige Individuen sprechen wir als Mischformen zwischen Orchis morio und Orchis longicornu an. Offensichtlich neigen auch diese Arten bei gemeinsamen Vorkommen zur Hybridisierung. Bestätigung finden wir bei Künkele und Lorenz (1995), die feststellen, dass Orchis longicornu und Orchis morio im Überlappungsbereich ihrer sizilianischen Areale individuenreiche Hybridpopulationen bilden. Ein Exemplar gar sieht verdächtig nach einem Hybriden zwischen Orchis morio und Dactylorhiza romana aus. Zumindest Habitus, Blätter und der lange, dünne, nach oben gerichtete Sporn würden dafür spechen. Hybriden zwischen den Gattungen Orchis und Dactylorhiza sind allerdings selten und meist schwer zu bestimmen. So bleiben Zweifel, die letztlich nur durch eine Genanalyse ausgeräumt werden könnten. Auch einige wenige gelbe Exemplare von Dactylorhiza romana finden wir. Dennoch bleibt festzustellen, dass die rotblühende Variante zu rund 99% überwiegt.

 

Hybriden von Dactylorhiza sambucina x D.romana rot

Individuenreiche Hybridschwärme bilden Dactylorhiza sambucina gelb und Dactylorhiza romana rot am Ätna

Orchis brancifortii

Nahaufnahme von Orchis brancifortii

So, das war's. Jetzt müssen wir uns sputen, denn die Uhr zeigt, dass wir in rund einer Stunde am Flughafen sein sollten. Ich packe die Koffer aus, denn mit dieser verdreckten Hose kann ich unmöglich in ein Flugzeug steigen. Nachdem der Koffer durch Einsatz roher Gewalt endlich wieder zu und auch die Fotoausrüstung ordentlich verpackt ist, geht es, wieder mal auf Umwegen, zum Flughafen. Die Rückgabe des Autos gibt kein Problem. Der Tageskilometer steht auf 184,7, der Gesamtkilometerstand beträgt 4020. Damit haben wir insgesamt beachtliche 1.532 Kilometer zurückgelegt. Wir checken ein und geniessen die letzten Sonnenstrahlen des Tages. Mit rund einer dreiviertel Stunde Verzögerung wegen Überlastung des italienischen Luftraumes durch die Nato-Einsätze im ehemaligen Yugoslawien heben wir ab. Ein besonderes Schauspiel erleben wir bei der Überfliegung des Ätna. Jetzt, wo es dunkel ist, kann man den von der glutflüssigen Lava hellrot erleuchteten Krater und den Lavastrom besonders gut erkennen.

 

Bleibt abschliessend noch festzustellen, dass wir in nur einer Woche rund die Hälfte der insgesamt vorkommenen Orchideenarten und -sippen samt einiger Bastarde finden konnten. Ein voller Erfolg! Nicht gefunden haben wir leider den sehr seltenen Endemiten Ophrys explanata, für den unsere Besuchszeit sicherlich richtig war. Auch nicht gefunden haben wir natürlich die sowieso erst Ende April oder später blühenden Arten. Infolge der verzögerten Entwicklung durch die kühle österliche Witterung haben wir leider auch einige, von uns erhoffte Arten nicht finden können. Es sind dies insbesondere die seltenen und schönen Endemiten Ophrys lacaitae und Orchis commutata.

Der Vollständigkeit halber seinen die darüber hinaus von uns nicht gefundenen, aber auf Sizilien nach Literaturangaben vorkommenden Arten in alphabetischer Reihenfolge erwähnt: Anacamptis pyramidalis, Cephalanthera damasonium, C. longifolia und C. rubra, Dactylorhiza marcusii und D. saccata, Epipactis helleborine, E. microphylla und E. mülleri, Gymnadenia conopsea, Himantoglossum hircinum, Limodorum abortivum und L. trabutianum (?), Listera ovata, Neottia nidus-avis, Ophrys apifera, O. apulica (?), O. candica, O. fuciflora, O. phryganae (?), O. sphegifera, Orchis conica, O. italica nana, O. laxiflora, O. mascula, O. palustris, O. pauciflora, O. picta (?), Platanthera bifolia, Serapias cordigera und Spiranthes spiralis.

Vielleicht finden wir einige der Arten bei unserem nächsten Besuch. Dann sollten wir auch der so interessanten Geschichte und den Kulturdenkmälern, mit denen Sizilien reich gesegnet ist, mehr Beachtung schenken.

 

Fotos:

Nikon F4, F3, Nikkore 80-200, 24, 35, Panagor 90 mm Makro, Ringblitz, auf Kodachrome 64. Abzüge Agfa Digi Print.

Ausgewählte Literatur:

 

  Galesi, R.

Le Orchidaceae della Sicilia sud-orientale. Boll.Acc.GioeniaSCI.NAT 29, 1996

 

  Galesi, R.

Contributo alla conoscenza delle Orchidacee del territorio di Niscemi (Sicilia) e presentazione di due nuovi ibridi. Journ. Eur. Orch. 17(2): 252-284. 1995

 

  Künkele, S., R. Lorenz

Zum Stand der Orchideenkartiertung in Sizilien. Jber. Naturwiss Ver. Wuppertal 48, 21-115, 1995

 

  Mark, C.

Voyage d'étude de la S.F.O. en Sicili du 10 au 21 avril 1994

 

  Paulus,H.; C. Gack

Zur Pseudokopulation und Bestäubungsspezifität der Gattung Ophrys in Sizilien und Süditalien (1989, unveröff.)

 

Gefundene Arten:

  1. Aceras anthropophorum
  2. Barlia robertiana
  3. Dactylorhiza romana
  4. Dactylorhiza sambucina
  5. Neotinea maculata
  6. Ophrys atrata
  7. Ophrys bertolonii
  8. Ophrys biancae
  9. Ophrys bombyliflora
  10. Ophrys exaltata
  11. Ophrys funera
  12. Ophrys fusca
  13. Ophrys fusca (bilunulata)
  14. Ophtys fusca, mittel, spät
  15. Ophrys garganica
  16. Ophrys lunulata
  17. Ophrys lutea
  18. Ophrys melena
  19. Ophrys oxyrhynchos
  20. Ophrys pallida
  21. Ophrys panormitana
  22. Ophrys sicula
  23. Ophrys speculum
  24. Ophrys speculum albiflora
  25. Ophrys tenthredinifera
  26. Ophrys tenth., genet. defekt
  27. Orchis brancifortii
  28. Orchis collina
  29. Orchis italica
  30. Orchis italica albiflora
  31. Orchis italica rubra
  32. Orchis lactea
  33. Orchis lactea albiflora
  34. Orchis longicornu
  35. Orchis longicornu albiflora
  36. Orchis morio
  37. Orchis papilionacea papilionacea (decipiens)
  38. Orchis papilionacea grandiflora
  39. Orchis pap. grandiflora albiflora
  40. Orchis provincialis
  41. Orchis tridentata
  42. Serapias bergonii
  43. Serapias lingua
  44. Serapias orientalis sicula
  45. Serapias parviflora
  46. Serapias vomeracea
  47. Serapias vom., genet. defekt

Hybriden:

  1. Aceras anthropophorum x Orchis italica
  2. Dactylorhiza romana x Dactylorhiza sambucina
  3. Ophrys atrata x Ophrys garganica
  4. Ophrys biancae x Ophrys oxyrhynchos
  5. Ophrys fusca (bilunulata) x Ophrys lutea
  6. Ophrys fusca (bilunulata) x Ophrys sicula
  7. Ophrys garganica x Ophrys oxyrhynchos ?
  8. Ophrys lunulata x Ophrys oxyrhynchos
  9. Ophrys lunulata x Ophrys panormitana
  10. Ophrys lunulata x Ophrys tenthredinifera
  11. Ophrys lunulata x Ophrys lutea ?
  12. Ophrys lutea x Ophrys funera
  13. Ophrys lutea x Ophrys sicula
  14. Ophrys oxyrhynchos x Ophrys atrata
  15. Ophrys oxyrhynchos x Ophrys panormitana
  16. Ophrys panormitana x Ophrys bombyliflora
  17. Ophrys tenthredinifera x Ophrys biancae
  18. Orchis morio x Dactylorhiza romana ?
  19. Orchis papilionacea grandiflora x Orchis longicornu
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