Ophrys normannii
JJ. Wood 1983

Zum vergrössern hier klicken

Sardinien (I), 22. April 2010


Nach dem Ausflug in die Berge mit der Grünen Hohlzunge wenden wir uns wieder der Gattung Ophrys zu. Wir besuchen die zweitgrößte Insel des Mittelmeers, Sardinien. Und wer dorthin fährt, hat einige "must do" auf der Liste, also Arten, die man unbedingt gesehen haben muss. Das sind zum Beispiel die herrliche Ophrys chestermannii (Orchidee des Monats August 2000), die etwas problematische Ophrys panattensis und eben auch Ophrys normannii, unsere Orchidee des Monats Januar 2010. Und wer weiß, in welcher Gegend dieses Taxon vorkommt und wer die richtige Zeit erwischt hat, der wird dieses Highlight in der Regel auch finden.

Die 1983 gültig beschriebene Ophrys normannii ist ein bemerkenswertes Taxon. Einmal, weil es ausschließlich in der Gegend um den Monte Linas vorkommt. Es ist damit ein Lokalendemit par excellence. Zum anderen deshalb, weil die Blüten auffallend groß und beeindruckend schön sind. Sie erinnern an eine wesentlich zu groß geratene Hybride zwischen Ophrys tenthredinifera und Ophrys chestermannii. Und damit sind wir bei der dritten Besonderheit. Nach mittlerweile gefestigter Meinung, der wir uns ohne Zögern anschließen, ist dieses Taxon tatsächlich eine gefestigte Hybride, entstanden aus der sardinischen Wespe und Chestermanns Ragwurz. Eine ähnliche stabilisierte und nur sehr lokal auftretende "Verbindung" ist Ophrys tenthredinifera subsp. neglecta übrigens mit Ophrys candica im Süden Apuliens eingegangen. Auch sie hat mit Ophrys tardans 1972 einen eigenen Namen erhalten. Bei dieser Gelegenheit nebenbei: Aus unserer Sicht wird die Bedeutung der Hybridisierung bei der Evolution und der Entstehung neuer Arten und Taxa generell unterschätzt, auch wenn nur verschwindend wenige genetische Neukombinationen das Zeug zum eigenen Taxon haben. Es muss eben alles passen, und das kommt sehr selten vor: Das Neuprodukt muss insbesondere dauerhaft lebenstüchtig und konkurrenzfähig sein, fertil sein und einen Bestäuber finden, und auch einen Lebensraum - beispielsweise eine ökologische Nische - erfolgreich besetzen können.

Für eine hybridogene Entstehung von Norman's Ragwurz gibt es neben dem intermediären Aussehen weitere Hinweise: So decken sich die Verbreitungsgebiete von Ophrys normannii und Ophrys chestermannii auffallend gut. Der "intermediäre" Wuchsort ist ein weiteres Indiz. Während nämlich die Wespenragwurz lieber sonnig bis allenfalls halbschattig wächst, ist Ophrys chestermannii eher eine Art lichter Wälder. Ophrys normannii wiederum steht fast immer halbschattig, und das sind insbesondere die Weg- und Böschungsränder innerhalb des Waldes oder an Nordhängen. Dass die Blüten im Schnitt deutlich größer sind als die der Eltern mag auf einen Heterosiseffekt zurückzuführen sein. Übrigens: Einzelne Hybriden zwischen Ophrys tenthredinifera subsp. neglecta uns Ophrys chestermannii, die wir auf der Insel schon fanden, haben denn auch wie zu erwarten intermediäre Blütengröße.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Frage, welche Wespe denn da beteiligt war. Es gibt nämlich deren zwei im Unterart-Rang auf der Insel. Zum einen die Subspezies neglecta. Sie ist weit verbreitet und kommt auch in den Gebirgen im Südwesten vor. Die zweite Unterart ist "aprilia". Sie ist sehr viel seltener und nach unseren Beobachtungen auf Gebiete mit kalkhaltigen Böden beschränkt. Unseres Wissens kommt sie im Südwesten mit seinen eher sauren Böden nicht vor. Auch wenn die etwas größeren Blüten von Ophrys tenthredinifera subsp. aprilia besser passen würden, ist es eher wahrscheinlich, dass die Subspezies neglecta Ausgangspunkt der Hybridisierung war. Vielleicht beschäftigt sich ja irgendwann mal jemand mit dieser Frage im Genlabor.

Typische Exemplare von Ophrys normannii sind meist relativ gut identifizierbar, auch wenn ihr Erscheinungsbild, wie bei Hybridpopulationen üblich, vergleichsweise vielfältig ist. Neben den Abbildungen links finden sie weitere Bilder in unserem Bildarchiv. Problematischer wird es, wenn die Pflanzen an weniger günstigen Standorten etwas kleiner ausfallen und dann auch noch "gewöhnliche" Wespen vertreten sind. Dann kann man in Einzelfällen schon mal ins Grübeln kommen. Übrigens sind auch in diesen Fällen zweifelsfreie Hybriden zwischen Ophrys normannii und Ophrys tenthredinifera nur sehr selten zu finden, was für eine mittlerweile relativ stabile Art spricht.

Normans Ragwurz kommt meist nicht in großen Stückzahlen vor, sie ist eher ein Einzelgänger. Standorte mit mehr als 100 Exemplaren sind sehr selten. Sie blüht Mitte April, im Schnitt und an vergleichbaren Standorten einige Tage nach Ophrys tenthredinifera und einige Tage vor Ophrys chestermannii. Auch diese intermediäre Blütezeit passt übrigens ganz gut zur Hybridtheorie. Das sehr begrenzte Vorkommensgebiet in den Bergen im Südwesten Sardiniens hat wie bereits erwähnt kalkarme, etwas besser Wasserversorgte Böden. Hinauf geht sie bis rund 800 Meter Meereshöhe. Bei Arten mit derart kleinem Verbreitungsgebiet stellt sich die Frage nach der Gefährdung besonders dringlich. Akut gefährdet scheint unsere Orchidee des Monats allerdings nicht zu sein, vorausgesetzt, die bisherige extensive Nutzung der Wälder -sofern sie überhaupt erfolgt - wird nicht grundlegend geändert.

Interessant ist eine Beobachtung, die wir bei unserem Besuch Sardiniens im April 2010 machen konnten. An einem besonders individuenreichen Standort hatten sich rund 20 Prozent der Pflanzen durch Herunterklappen der Pollinienstiele - genau wie bei der Bienenragwurz - offensichtlich selbst bestäubt (siehe Blütenstandsfoto links). Ob dies ein Einzelfall ist oder eine generelle Eigenschaft, können wir nicht beurteilen. Als Bestäuber gilt ansonsten Psithyrus (Bombus) vestalis, die sich auch um Ophrys chestermannii bemüht.

Zum vergrössern hier klicken

Sardinien (I), 22. April 2010


Zum vergrössern hier klicken

Sardinien (I), 22. April 2010


Zum vergrössern hier klicken

Sardinien (I), 22. April 2010


Zum vergrössern hier klicken

Sardinien (I), 22. April 2010