Ophrys apifera forma longisepala
Casata, Selig und Zelesny, 2003

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St. Affrique, Cevennen (F), 27.5.2003


Ophrys apifera ist eine ganz bemerkenswerte Pflanze. Das fängt schon mit dem Verbreitungsgebiet an. Fast alle Ragwurzen gelingt nämlich der Sprung nach Norden über die Alpen nicht - zu kalt sind die Winter dort für diese wärmeliebende Gattung. So kommen in Deutschland beispielsweise nur 5 Ragwurzarten vor, nämlich Ophrys insectifera, Ophrys sphegodes, Ophrys araneola, Ophrys holoserica und eben Ophrys apifera. An mangelnder Pflege entsprechender Biotope kann es jedenfalls nicht liegen, denn in kaum einem anderen Land wird soviel in den Erhalt der Magerrasen investiert wie bei uns. Übrigens: Lustig ist es immer, wenn man bei Exkursionen in unseren Breiten Gäste mitnimmt, die sich bei Orchideen im speziellen nicht so gut auskennen. Die Gesichter sind immer köstlich, wenn wir dann von den seltenen Bienen, den noch selteneren Hummeln, den extrem seltenen Spinnen aber den häufigeren Fliegen reden. Nach kurzer Aufklärung dann das erleichterte "ach so".

Ophrys apifera schafft es im milden ozeanischen Klima sogar bis hinauf nach England und Irland. Das ist schon sehr beachtlich. Offensichtlich können auch kalte Winter der Biene wenig anhaben. Dass die Art dennoch Wärme und Sonne liebt, kann man daran erkennen, dass sie in nördlichen Breiten fast ausschließlich auf Südhängen anzutreffen ist. Eine zweite wichtige Voraussetzung ist - wie bei den meisten Orchideen - ein Verzicht auf Düngung, insbesondere Kunstdünger und Flüssigdünger. Die Art kommt deshalb vornehmlich in Halbtrockenrasen vor, die extensiv genutzt werden, wobei sich die Beweidung mit Schafen als besonders günstig erwiesen hat.

Über Ophrys apifera könnte man noch eine ganze Menge erzählen. Hier wollen wir uns jedoch auf wenige Aspekte beschränken, denn die Orchidee des Monats ist nicht Ophrys apifera s.l., sondern Ophrys apifera forma longisepala. Ich weiß: Davon haben sie garantiert noch nichts gehört, denn dieser Namen ist eine Erfindung von uns, gewissermaßen ein "Arbeitsnamen".

Eine weitere Besonderheit von Ophrys apifera ist das Bestäubungsverhalten. Die meisten Ragwurzarten werden fremdbestäubt und sind damit auf bestimmte Insektenarten angewiesen. Diese labile Zusammenarbeit, die natürlich viele Risiken in sich birgt, hat die Bienenragwurz umgangen. Sie hat sich nämlich im Laufe der Entwicklungsgeschichte entschossen, die Bestäubung lieber selbst in die Hand zu nehmen. Die Art ist also selbstbestäubend. Dies ist auch der Grund, warum ihr Befruchtungserfolg in der Regel annähernd 100% erreicht. Nur in sehr schlechten Jahren, wie zum Beispiel im heißen und viel zu trockenen 2003, war der Bestäubungserfolg sehr mäßig. Die Selbstbestäubung hat unter anderem zwei Konsequenzen: Zum einen wäre es nur logisch, dass es bei einer selbstbestäubenden Art wie Ophrys apifera keine Hybriden geben kann. Dennoch findet man in manchen Gegenden immer wieder Hybriden mit verschiedenen anderen Ragwurzarten. So kommen auch bei uns in Deutschland Kreuzungen vor, beispielsweise mit Ophrys sphegodes und insbesondere mit Ophrys holoserica, mit der sie an manchen Standorten gemeinsam vorkommt. Das heißt, die Art vermehrt sich zwar in der Regel durch Selbstbestäubung; aber es kommt eben auch Insektenbesuch vor, was dann zur Hybridisierung führen kann.

Eine weitere Konsequenz der bevorzugten Selbstbestäubung ist für unsere Orchidee des Monats jedoch von größerer Bedeutung. Tritt nämlich ein genetischer Defekt auf, beispielsweise eine Monströsität der Blüten, so geht diese Einzelerscheinung bei fremdbestäubten Arten meist schnell sang- und klanglos unter. Sie hat schlicht keine Chance gegenüber der normalen Form, weil sie für die betreffenden Insekten einfach nicht attraktiv sind und deshalb auch in der Regel nicht bestäubt werden. Anders bei selbstbestäubenden Arten. Wenn nämlich bei diesen von der Mutation die Fertilität nicht betroffen ist, dann können sich die missgebildeten Gene durch Selbstbestäubung halten und gar weiter verbreiten. Aus einer Mutation wird so eine kleine Gruppe, manchmal auch ein ganzer Bestand. Bestimmte Formveränderungen haben sich sogar so weit etabliert, dass sie nicht mehr nur an einem Ort, sondern an vielen Stellen im weiteren Verbreitungsgebiet von Ophrys apifera Fuß gefasst haben. Diese Mutationen werden dann im Rang einer Varietät geführt, wie beispielsweise die Varietäten trollii, botteronii, friburgensis oder jurana. Den Rang einer Subspezies, den manche Autoren verwenden, halten wir indes für nicht gerechtfertigt.

Bei einer Exkursion im Mai 2003 haben wir einen weiteren Bestand entdeckt, der offensichtlich aus einer Mutation hervorgegangen ist und sich in einer Wiese derart verbreitet hat, dass sie mittlerweile dort häufiger vorkommt als die normalen Ophrys apifera. Möglicherweise ist diese Mutation nicht nur in den Blüten verunstaltet, sondern auch robuster. So zählten wir über 100 Exemplare, wobei keine Pflanze der anderen glich. Morphologisch am nächsten dürfte sie der Varietät bicolor kommen. Charakteristisch sind die mehr oder weniger langgezogenen und schmalen Lippen, die im unteren Teil bräunlich, im oberen Teil gelblich mit teilweise leicht rosafarbenen Tönen sind. Auffällig sind auch die großen Schnäbel und die sehr großen, immer schneeweißen Sepalen, die uns veranlasst haben, der Art den Arbeitsnamen "forma longisepala" zu geben.

Da diese sehr hübsche Mutation bislang nur von einer einzigen Stelle bekannt ist, halten wir selbst den Rang einer Varietät für zu weitgehend. Lusus wäre wohl die beste Bezeichnung. Damit erübrigt sich eine genaue wissenschaftliche Beschreibung und eine "formelle" Namengebung. Aber als Orchidee des Monats taugt sie allemal. Dieses Recht nehmen wir uns als Autoren einfach heraus.

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St. Affrique, Cevennen (F), 27.5.2003


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St. Affrique, Cevennen (F), 27.5.2003