Ophrys grigoriana
Kretzschmar 1995

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Kamares, Kreta (GR), 7. April 2004


Ein gewaltiges Ding haben wir uns diesmal als Orchidee des Monats ausgesucht. In der Tat ist Ophrys grigoriana die Ragwurz mit den bislang größten bekannten Blüten. Bis zu 3,5 (!) Zentimeter können die Blütenlippen lang sein, wahrlich eine beachtliche Dimension. Da sollte man meinen, dass so etwas schon vor langer Zeit den Orchideenfreunden aufgefallen ist. Hinzu kommt, dass die Art (nur) auf Kreta vorkommt und man nun nicht behaupten kann, dass es sich hier um unbekanntes Terrain handelt. Aber denkste. Es blieb Herrn Kretzschmar vorbehalten, diese Art erst 1995 in den Berichten des Arbeitskreises Heimische Orchideen zu beschreiben.

Zur Ehrenrettung der vielen Kreta-Reisenden: Es ist davon auszugehen, dass schon andere vor ihm diese Art gesehen, aber nicht bewusst zur Kenntnis genommen haben. Sie sieht nämlich eigentlich "nur" wie eine zu groß geratene Ophrys spruneri aus, die ja auf der Insel und in Griechenland nicht selten vorkommt. Vermutlich hat man sie deshalb als Monströsitäten von Ophrys spruneri zwar fotografiert, aber ansonsten nicht weiter beachtet. Ohne Abbildungsmaßstab oder ohne direkten Vergleich ist deshalb die Art anhand von Dias nicht eindeutig zu erkennen, so dass vermutlich niemand auf die Idee kam, sich nachträglich darüber Gedanken zu machen.

In seinem Buch über die Orchideen auf Kreta, Kasos und Karpathos hat Kretzschmar Ophrys grigoriana neu kombiniert und als Subspezies zu Ophrys spruneri gestellt. Diese Auffassung könnte man angesichts der großen Ähnlichkeit mit Ophrys spruneri spontan teilen. Allerdings haben aktuelle Untersuchungen von Paulus (mündlich vorgetragen anlässlich der IX. Gmünder Orchideentagung) zur Bestäubungsbiologie von Ophrys grigoriana gezeigt, dass sie offensichtlich einen eigenen Bestäuber hat: Es ist die große Holzbiene aus der Gattung Xylocopa, genau passend auf die riesige Blüte. Ophrys spruneri dagegen wird, wie übrigens auch die vom Erscheinungsbild ähnliche Ophrys sipontensis, von der kleineren Verwandten Xylocopa iris bestäubt. Da letztere keinerlei Interesse an Ophrys grigoriana zeigt, was angesichts der erheblichen Größenunterschiede auch nicht verwunderlich ist, kommt sie als Bestäuber von Ophrys grigoriana nicht in Betracht.

Interessant ist auch, dass offensichtlich bei dieser Kombination ein vom üblichen abweichendes Bestäubungsverhalten vorliegt. So hat Paulus festgestellt, dass sich die Männchen der Großen Holzbiene nicht wie gewöhnlich zur Pseudokopulation auf der Blüte niederlassen. Vielmehr fliegen sie auf die Blüten zu und rammen diese regelrecht, wobei ab und an auch Pollinienpakete auf den Kopf geklebt werden. Der Grund für dieses Verhalten ist bislang noch nicht geklärt. Es gibt zwei Hypothesen: Da normalerweise die Männchen der großen Holzbiene - im Gegensatz zu Xylocopa iris - die Weibchen regelrecht von den Blüten pflücken und an einen anderen, ihnen für die Kopulation genehmen Ort verschleppen, könnte es sein, dass sie dies auch mit der Blüte versuchen, die allerdings bedauerlicherweise festgewachsen ist. Oder aber die Männchen erkennen in den Blüten schlicht andere männliche Artgenossen und versuchen diese aus ihrem Revier zu boxen. Ein ganz schön rüdes Verhalten ist das allemal. Weitere von Paulus angekündigte Untersuchungen werden vermutlich etwas mehr Licht in diese interessante Beziehung bringen, die wieder einmal mehr zeigt, wie komplex und faszinierend Natur doch ist.

Unter Heranziehung des populationsbiologischen Artbegriffs wäre jedenfalls Ophrys grigoriana im Artrang zu führen, was wir hiermit tun. Und noch etwas konnte Paulus aufklären: Der Name Ophrys sphaciotica, unter dem Delforge diese Art führt, ist nicht zutreffend und wahrscheinlich ein Synonym für Ophrys spruneri. Bereits Kretschmar vermutete dies in seinem oben genannten Buch. Der Name spaciotica hat seinen Ursprung im 1925 erschienen Werk von Fleischmann über die Orchideenflora der Insel Kreta. Dort sind als "sehr groß" bezeichnete gepresste Blüten abgebildet, die bereits 1904 von Dörfler gesammelt wurden. Ein Abbildungsmaßstab fehlt allerdings. Paulus konnte nach Einsicht der Original-Negativbelege, auf denen glücklicherweise ein Maßstab angegeben war, belegen, dass die von Fleischmann herangezogene Pflanze in der Blütengröße ungefähr mit der von Ophrys spruneri übereinstimmt. Auch dies bestätigt die Korrektheit des Namens Ophrys grigoriana.

Das Verbreitungsgebiet der Ragwurz aus Grigoria - einem der Fundorte mit größerer Population - ist sehr beschränkt. Nach der Veröffentlichung von Kretzschmar hat ein regelrechter Sturm auf diese Schönheit eingesetzt mit der Folge, dass in den letzten Jahren weitere Fundpunkte dazugekommen sind. Wir fanden beispielsweise 2004 ein aufblühendes Exemplar am Weg nach Orino. Dennoch handelt es sich bei Ophrys grigoriana um eine sehr seltene und vermutlich auch gefährdete Ragwurzart, auch weil sie an ihren Fundorten oft nur in geringer Individuenzahl vorkommt. Ihre Ansprüche entsprechen denen von Ophrys spruneri. Sie blüht etwas später als Ophrys spruneri, je nach Standort von Anfang bis Ende April in 100 bis 600 Meter Meereshöhe. Sie kommt insbesondere in sonnigen bis halbschattigen Magerrasen oder Phryganen vor, auch an Böschungen und auf Terrassen und oft vergesellschaftet mit anderen Orchideenarten, auch mit Ophrys spruneri. Hybriden sind bislang bekannt mit Ophrys cretica ssp. ariadnae.

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Kamares, Kreta (GR), 7. April 2004


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Kamares, Kreta (GR), 7. April 2004


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Kamares, Kreta (GR), 7. April 2004


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Kamares, Kreta (GR), 7. April 2004


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Orino, Kreta (GR), 7. April 2004