Coeloglossum viride

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Mt. Cenis (F), 29. Juni 2009


Diesmal geht's wieder in die Berge. Unser heutiger Kandidat ist nämlich an vergleichsweise kühles Klima angepasst. Nomenklatorische Schwierigkeiten gibt es zur Abwechslung mal keine. Coeloglossum viride ist der einzig gebräuchlich Name für diese hübsche, aber unauffällige Art, die innerhalb der Gattung Coeloglossum ganz alleine dasteht. Allenfalls eine klein- und wenigblütige Varietät "islandicum" aus nördlichen Breiten oder eine robuste Varietät "bracteatum" aus Nordamerika und Ostasien könnte man abtrennen. Aber schon Delforge bezeichnet diese Formen als Taxa mit "wenig Wert", da werden wir erst recht keine eigenen Taxa anerkennen.

Die Art ist unverwechselbar und wenig variabel und somit immer gut zu erkennen. An schattigeren Standorten wie beispielsweise Wegrändern im Bergwald ist die Art auffällig hochwüchsig und blass. Um ein eigenes Taxon handelt es sich unserer Meinung nach jedoch nicht. Die Höherwüchsigkeit ist der stärkeren Beschattung geschuldet und kommt auch bei anderen Taxa vor. Und das meist grüne Erscheinungsbild könnte mit der geringeren Besonnung bzw. der geringeren UV-Strahlung zusammenhängen. Es ist nämlich auffallend, dass gerade in den höchsten Lagen und bei vollsonnigem Wuchs rötlich überlaufene Pflanzen häufiger zu beobachten sind als grün-gelbliche.

Die grüne Hohlzunge, so der gebräuchliche deutsche Name, ist zirkumpolar in boreal-temperatem Klima verbreitet. Man findet sie beispielsweise in Europa, Vorderasien südwärts bis zur meridionalen Zone. In Asien erreicht sie sogar den Kaukasus und den Himalaya. In Mitteleuropa ist sie verständlicherweise auf die Gebirge beschränkt. Nur dort findet sie die ihr zusagenden klimatischen Verhältnisse. In Süddeutschland kommt sie beispielsweise auf der Alb vor, wobei die Vorkommen dort wenig vital und nur mit wenigen Individuen besetzt sind, eindeutiges Zeichen, dass sie sich hier nicht so recht wohl fühlt. In Süddeutschland muss man die Art als akut vom Aussterben bedroht einstufen.

Coeloglossum viride wächst vollsonnig bis halbschattig in Magerrasen und -wiesen, Zwergstrauchheiden und lichten Wäldern. Was den Boden betrifft ist sie wenig wählerisch. Zwar bevorzugt sie saure Böden, aber auch über Kalk ist sie nicht selten, beispielsweise in den Kalkalpen (Dolomiten). In Europa steigt sie hinauf bis fast 3.000 Meter, in Asien sogar auf über 4.000 Meter. Sie blüht in tieferen Lagen ab Anfang Mai, im Hochgebirge allerdings erst im August. Von allen Bergorchideen ist sie zusammen mit Orchis mascula subsp. signifera die frühblühendste. Zu erwähnen wäre noch die hohe Nektarproduktion, was die Art für eine ganze Reihe von Insekten, beispielsweise Wespen, Bienen, Nachtfalter, Ameisen und Käfer interessant macht. So nimmt der hohe Fruchtansatz nicht Wunder.

Interessant ist ihr hybridogenes Verhalten. Da sie keine Verwandte Art in der Gattung hat, kommen nur Gattungshybriden in Frage. Die gibt es mit einigen Vertretern der Gattung Dactylorhiza, zum Beispiel den Taxa incarnata, maculata, majalis, purpurella, sambucina und umbrosa. Hybriden mit Vertretern aus anderen Gattungen sind zweifelhaft. Dieses Verhalten lässt den Schluss zu, dass sich die Gattungen Dactylorhiza und Coeloglossum sehr nahe stehen. Neueste genetische Untersuchungen (Bateman et al.) legen sogar nahe, beide Gattungen zusammenzuführen. Wie dem auch sei, solche Hybriden sind besonders attraktive Orchideenhighlights, für die man schon mal einige Hundert Kilometer Anfahrt in Kauf nimmt. Die Hybride mit Dactylorhiza maculata subsp. fuchsii können Sie in Bildarchiv besichtigen. Die Chromosomenzahl beträgt 2n=40.

Zum Schluss sei noch aus dem schönen Werk von Edeltraud und Othmar Danesch aus dem Jahr 1984 (Die Orchideen der Schweiz) zitiert. Dort steht zu unserer Orchidee des Monats: "Kleine Orchideenblüten sind nicht weniger bezaubernd als große. Immer wieder, wenn man eine solche Blüte mit millimeterkleinen Blütenblättchen unter der Lupe wendet und dreht, ihre winzigen Details betrachtend - Zähnchen und Papillen, Farbpunkte und fein gezeichnete Linien, rötliche Staubbeutel, das gelbe Schnäbelchen, dicke, grüne Pollenpakete-, immer wieder wird man zwangsläufig vom Staunen erfasst". Ist das nicht schön?

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Schwäbische Alb (D), 4. Juli 2010


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Allgäu (D), 28. Juni 2010


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Allgäu (D), 28. Juni 2010


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Mt. Cenis (F), 29. Juni 2009