Nigritella rhellicani
Teppner und E. Klein 1990

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Juli 1989, Dolomiten (I)


Kohlröschen sind schon einige in unserem Archiv der Orchidee des Monats. Jetzt kommt noch die wohl häufigste Art der Alpen hinzu, das Schwarze Kohlröschen. Vor noch nicht allzu langer Zeit war die Gattung Kohlröschen einfach anzusprechen. Es gab ein Rotes Kohlröschen, Nigritella rubra, und ein Schwarzes Kohlröschen, Nigritella nigra genannt. Beim letzteren war in der Regel die heutige Nigritella rhellicani gemeint. Heute ist das einerseits schon viel schwieriger, andererseits aber auch klarer geworden. Insbesondere bei den rosa blühenden Taxa sind einige doch gut abgrenzbar. Wie das Schwarze Kohlröschen ebenfalls sehr dunkelblütig sind noch Nigritella austriaca und einige Taxa, deren taxonomischer Rang umstritten ist: Nigritella gabasiana und Nigritella nigra zum Beispiel, wobei unter letzterer jetzt ein in Skandinavien endemisches Taxon verstanden wird.

Anders als in vielen namhaften Publikationen halten wir sogar die Unterscheidung zwischen Nigritella rhellicani und Nigritella austriaca für problematisch. Mag sein, dass sich beide Sippen genetisch und auch durch ihr Fortpflanzungsverhalten unterscheiden. Nigritella rhellicani wird nämlich fremdbestäubt, Nigritella austriaca ist dagegen apomiktisch, pflanzt sich also durch Selbstbestäubung fort. Morphologisch jedoch sind die Arten oft nicht zweifelsfrei zu unterschieden, auch nicht am berühmten Stiftchensaum an den Tragblättern der unteren Blüten. Der soll nämlich bei Nigritella rhellicani (meist) ausgeprägt vorhanden sein, bei Nigritella austriaca dagegen weitgehend fehlen. Aber wer hat schon ein Labor im Rucksack für genetische Untersuchungen oder einen Satz Bestäuber zum testen der Attraktivität. Erschwerend kommt hinzu, dass sich trotz des unterschiedlichen Fortpflanzungsverhaltens offensichtlich Übergangsformen gebildet haben. Da wird es dann mit dem Unterscheidungsmerkmal einer 2-3wöchig früheren Blütezeit von Nigritella austriaca gegenüber Nigritella rhellicani schon schwer.

Das schwarze Kohlröschen kommt in den Gebirgen von den Alpen bis zu den Karpaten (beschrieben als Nigritella carpatica) vor und ist stellenweise relativ häufig. Die meisten Vorkommen liegen in Höhenlagen von 1.200-2.800 Metern. Bis hinunter auf 800 Meter geht sie selten, was möglicherweise daran liegt, dass ihr Lebensraum, ungedüngte, kurzrasige Bergmatten, so weit unten nicht mehr vorkommen. Es ist also eine ausgesprochene Hochgebirgspflanze. Sie steht meist vollsonnig, Schatten oder stark ausapernde oder windexponierte Stellen mag sie weniger. Übersehen kann man sie zur Blütezeit eigentlich nicht. Denn einerseits sind die schokoladenbraunen Blütenköpfe schon von weitem zu erkennen. In den alpinen Matten gibt es nichts vergleichbares, mit dem man die Art verwechseln könnte. Andererseits duftet das Schwarze Kohlröschen wie fast alle anderen Verwandten sehr stark nach Vanille oder Schokolade, was ihr auch die volkstümlichen Namen Vanilleorchis oder Schokoladenorchis eingebracht hat.

Was den Kalkgehalt des Boden betrifft ist sie sehr tolerant. Natürlich kommt sie auf kalkhaltigen Böden vor, aber eben auch auf saurem Substrat. Über Silikat, Gneis, Glimmer und Schiefer, kann sie sogar besonders stattliche Populationen bilden. Dies ist ein Phänomen, das auch bei anderen bodenvagen Arten auftritt, z.B. bei einigen Zungenständeln oder auch bei Gymnadenia conopsea. So ist es oft so, dass auf saurem Untergrund die Artenzahl zwar vergleichsweise niedrig liegt und auch viele Standorte gänzlich unbesetzt sind. Die Arten aber, die vorkommen, sind dann oft in großer Zahl vertreten. Sehr gut kann man das beispielsweise in den Dolomiten beobachten. Dort ist Nigritella rhellicani (und auch Gymnadenia conopsea) auf den kalkhaltigen Böden zwar verbreitet. Aber zahlenmäßig weitaus häufiger ist sie noch auf einigen benachbarten Plätzen mit kalkarmen Untergrund.

Zu den Chromosomensätzen liegen unterschiedliche Informationen vor. Sie reichen von 2n=40 über 2n=60 bis zu 2n=80, wobei der Satz von 2n= 60 vermutlich zu Nigritella austriaca gehört und 2n=40 wohl korrekt ist. Besonders interessant sind zum einen die Farbabweichungen, die man vereinzelt immer mal wieder zwischen den normal gefärbten Exemplaren finden kann. Kaum eine Farbe von weiß bis schokoladenbraun, die es nicht gibt. Besonders reizvoll sind rosa blühende Exemplare (Achtung, Verwechslungsmöglichkeit mit anderen Arten, insbesondere Nigritella dolomitensis!) oder orangeblütige. Es gibt sogar gelb- und weißblütige, was übrigens sehr bemerkenswert ist, denn Albinos sind in der Blüte normalerweise entweder gelblich (=flavescens, z.B. Ragwurz) oder weißlich (=albiflora, z.B. Orchis) Hier gibt es beides (wie beispielsweise auch bei Orchis purpurea). Möglicherweise liegt bei den sehr seltenen weiß blühenden Exemplaren ein völliges Fehlen von Blüten-Farbstoffen vor. Es fehlen dann sowohl die roten (Anthocyane), als auch die gelben (Carotinoide, Flavotiniode und andere) Farbstoffe. Bei den gelbblütigen dagegen fehlen nur die roten Farbstoffe.

Und natürlich sind auch Hybriden mit Kohlröschen etwas leckeres. Mit zu den häufigsten europäischen Orchideenhybriden überhaupt zählen Kreuzungen zwischen Nigritella rhellicani und Gymnadenia conopsea. Sie haben mit X Gymnigritella suaevolens einen eigenen Namen und sollen ein Indiz dafür sein, dass sich beide Gattungen sehr nahe stehen. Manche Autoren fassen gar beide Gattungen zur Gattung Gymnadenia zusammen. Diese Sichtweise hat sich aber noch nicht durchgesetzt, auch wenn sie im neuen Delforge bereits vollzogen wurde. Gymnadenia rhellicani, das klingt einfach irgendwie komisch, was natürlich kein wissenschaftliches Kriterium ist. Außerdem sind beide Gattungen morphologisch so gut zu unterscheiden, dass eine Zusammenlegung aus unserer Sicht nicht gerechtfertigt ist. Es kommt halt mal wieder darauf an, welches taxonomische Konzept man vertritt. Seltener sind Hybriden mit Gymnadenia odoratissima, und echte Raritäten sind Kreuzungen mit Pseudorchis albida und Vertretern der Gattung Dactylorhiza. Für so etwas lohnt auch ein längerer Ausflug, was man allerdings nur als hardcore-Orchideologe verstehen muss.

Weil wir die Dolomiten schon angesprochen haben sei am Schluss noch auf eine ganz besondere und faszinierende Sippe hingewiesen, die bislang nur von der Nordseite der Seiser Alm bekannt ist. Dort wachsen auf saurem Untergrund insbesondere Gymnadenia conopsea, Pseudorchis albida und eben auch Nigritella rhellicani in fast unvorstellbaren Mengen. Zur Hauptblütezeit kann man dort die Orchideen tatsächlich riechen!. Ich habe noch keinen Platz gesehen mit einer höheren Dichte an Orchideen! Zusammen mit dem herrlichen Bergpanorama auf die umliegenden Dolomitengipfel ein einmaliges und unvergessliches Erlebnis. Das besondere kommt aber jetzt: Unter der Vielzahl von Schwarzen Kohlröschen sind hier auch 1 bis 10 % Farbvarianten. Jede sieht irgendwie anders aus und hat ihren eigenen Reiz. Mir persönlich gefallen ganz besonders die zweifarbigen Exemplare mit rot in der Lippenbasis und gelblichen Lippenzipfeln und Sepalen und Petalen, die ich scherzhaft "Harlekin-Orchidee" nenne. Einige dieser Farbvarianten sind links abgebildet, weitere im Bildarchiv zu finden.

Und jetzt noch was zum nachdenken: Auf der Seiser Alm liegen kalkhaltige und saure Böden dicht beieinander. Die erwähnte Sippe mit den Farbabweichungen kommt aber ausschließlich auf sauren Böden vor. Luftlinie keine 2 Kilometer entfernt, auf kalkhaltigem Boden, fehlt sie völlig. Ist das Zufall? Wir wissen doch, wie leicht Orchideensamen verfrachtet werden. Oder handelt es sich vielleicht um zwei unterschiedliche, so genannte vikariierende Sippen, die eine auf Kalk, die andere auf Silikat? Ungewöhnlich wäre das nicht. So was kann man beispielsweise auch bei den stängellosen Enzianen oder den Alpenrosen beobachten. Oder sind es gar besondere Inhaltsstoffe des Bodens, die zu den Farbabweichungen führen? Jedenfalls behaupten die Kohlröschen-Spezialisten, es handele sich zweifelsfrei um Nigritella rhellicani. Und wir wollen uns an der wundersamen Artenvermehrung der Orchideen nicht beteiligen.

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Juli 2000, Dolomiten (I)


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15. Juli 1989, Dolomiten (I)


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11. Juli 2005, Seiser Alm, Dolomiten (I)


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11. Juli 2005, Seiser Alm, Dolomiten (I)


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11. Juli 2005, Seiser Alm, Dolomiten (I)


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11. Juli 2005, Seiser Alm, Dolomiten (I)