Ophrys pseudoatrata |
S. Hertel und H. Presser 2006
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Die Orchidee des Monats ist diesmal eine brandneue Art. Gewiss, wir mahnen immer zu Zurückhaltung bei Neukreationen. Dabei soll es auch bleiben. In diesem Falle aber handelt es sich um ein Taxon, das zu den bislang beschriebenen nicht passt. Es fiel uns zum ersten Mal am 31. Mai 2002 bei der Rückfahrt vom Cilento in die Heimat auf. Wir wählten damals eine neue Strecke und entdeckten auf einem kleinen Pass südlich Potenza blühende Wespenragwurz am Straßenrand. Grund genug, anzuhalten und uns auf der Pferdeweide näher umzusehen. Schließlich kamen insgesamt 21 verschiedene Orchideenarten zusammen, wobei uns sehr schnell die hier wachsenden „Spinnen“ auffielen. Als auffälligste Merkmale notierten wir die insgesamt dunklen Lippen und das bei rund 30 % festgestellte leicht farbigem Perigon. Unseren Anfangsverdacht, es könnte sich um eine Hybridsippe handeln, haben wir in Anbetracht der relativ großen Stückzahl verworfen. Außerdem: Was sollte neben Ophrys atrata oder Ophrys garganica / passionis denn der zweite Elternteil sein? Möglicherweise Ophrys sphegodes? Eine Zuordnung gelang uns nicht, und so führten wir diese Sippe bis vor kurzem als Ophrys von Potenza. Mittlerweile haben andere Orchideenfreunde den Standort besucht und auch an anderen Stellen entsprechende Populationen entdeckt. Dies und eine genaue Analyse haben die Kollegen Stefan Hertel und Helmuth Presser 2006 schließlich zu einer Neubeschreibung im Rahmen eines Beitrags zur Kenntnis der italienischen Orchideen (Journal Europäischer Orchideen 38(3), 2006) veranlasst, aus der wir hier zitieren bzw. rezensieren möchten. Demnach ist Ophrys pseudoatrata - so der Name für die neue Sippe - schon seit Jahrzehnten von mehreren Standorten südlich Potenza bekannt, wurde allerdings unter verschiedenen Namen eingeordnet, wie z.B. "steht zwischen Ophrys atrata und Ophrys sphegodes" oder "nahe Ophrys atrata", oder sie wurde zu Ophrys melitensis oder Ophrys garganica gestellt. Alles sicher nachvollziehbar, wenn man die Pflanzen gesehen hat. Die spezifischen Merkmale und Unterschiede zur rund zwei Wochen früher blühenden Ophrys atrata, mit der sie an einigen Standorten gemeinsam vorkommt, sind allerdings signifikant. Bastarde zwischen beiden Arten wurden nicht beobachtet, so dass insgesamt nach derzeitigem Kenntnisstand der Artrang gerechtfertigt erscheint. Die Zeiten spektakulärer Neufunde in Italien sind nach eingehender Durchforschung in den letzten Jahren sicher vorbei. Das Beispiel zeigt aber anschaulich, dass es immer noch Überraschungen und etwas zu entdecken und zu erforschen gibt, insbesondere in Regionen, die bislang nicht so sehr im Fokus der Orchideenliebhaber standen. Wir schließen uns der Meinung der Kollegen an und haben unsere Ophrys von Potenza in Ophrys pseudoatrata umbenannt. Neben den hier abgebildeten Exemplaren finden Sie in unserem Bildarchiv weitere Abbildungen, die die Variabilität der Art gut zeigen. Weitere Angaben zu Standort, Blütezeit etc. können (noch) nicht gemacht werden. Hierzu sind weitergehende Recherchen nötig. Nach unserer Beobachtung fällt die Blütezeit mit der von Ophrys tenthredinifera zusammen. Die hier ebenfalls vorkommende Ophrys araneola sind zur Blütezeit von Ophrys pseudoatrata längst hinüber. Auch die Standortsansprüche dürften denen der Wespe sehr ähnlich sein: offene, magere Weiden und Wiesen, vollsonnig bis allenfalls leicht schattig. Bei unserem Besuch präsentierte sich der Biotop in sehr gutem Zustand. Die Kollegen, die den Platz in den folgenden Jahren aufsuchten, haben aber berichtet, dass der Bereich großflächig aufgeforstet wurde. Damit dürfte es in absehbarer Zeit vorbei sein mit der Pracht. Es ist davon auszugehen, dass auch diese Ragwurzart – wie auch alle anderen – mehr oder weniger bastardiert. Wir fanden bei unserem Besuch auf der Pferdeweide zu unserer großen Freude gleich die Hybride mit Ophrys tenthredinifera, die sie im Bildarchiv seit 2002 bewundern können. Sie ist – in Anbetracht der erst jüngst erfolgten Beschreibung von Ophrys pseudoatrata – vermutlich der erste Beleg einer Hybride bei dieser Art. | |