Limodorum trabutianum
Battandier 1886

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Toscana (I), 24. Juni 2001


Der Dingel ist schon ein eigenartiges Gewächs. Ein nicht orchidophil veranlagter Mensch wird, wenn er vor einer Dingel-Pflanze steht, nie im Leben darauf kommen, dass das eine Orchidee sein könnte. Aber der Blütenbau stellt sie ganz eindeutig in diese so formenreiche Familie. Charakteristisch ist insbesondere das weitgehende, aber nicht vollständige Fehlen von Chlorophyll. Die Pflanze gehört also zu den ganz faulen oder ganz cleveren Gesellen, wie man es sehen will, die es nicht mehr nötig haben, durch Photosynthese selbst alle notwendige Energie zum Wachstum aufzubauen. Allerdings ist die Biologie dieser Gattung nicht abschließend geklärt. So sind sich die Botaniker nicht einig, ob es sich um einen Saprophyten oder gar einen Parasiten handelt, der auf Baumwurzeln sitzt. Während das Blattgrün weitgehend fehlt, enthält der gesamte oberirdische Teil der Pflanze andere Farbstoffe, die im Zusammenwirken die Pflanze in unverwechselbarem Blauviolett erscheinen lassen. Und wenn man keine Photosynthese betreiben muss, braucht man natürlich auch keine Blätter. Also fehlt dem Dingel dieser überflüssige Luxus. Der Vergleich mit Spargeltrieben ist deshalb gar nicht so abwegig, jedenfalls was das äußere Erscheinungsbild betrifft.

Die Gattung Limodorum umfasst, im Gegensatz zu anderen wie beispielsweise Dactylorhiza, Orchis oder Ophrys, nur wenige Arten, genauer gesagt nur zwei. Beide sind auf wärmere Regionen beschränkt. Weiter verbreitet ist Limodorum abortivum, der am besonders wärmebegünstigten Kaiserstuhl sogar bis nach Deutschland vorgedrungen ist, dort aber die Nordgrenze erreicht. Viel seltener ist sein nächster Verwandter, Limodorum trabutianum, der hier näher behandelt werden soll. Der Name "Dingel" dürfte übrigens aus dem Griechischen kommen. Allerdings bedeutet "haimodoron" eigentlich "rotblütig", was nur für wenige Exemplare zutrifft. Der Artname "trabutianum" ist eine Hommage an den französischen Botaniker Louis-Charles Trabut.

Das besondere Erscheinungsbild der Gattung hat Vorteile: Der Dingel ist unverwechselbar und man kann ihn schon von weitem eindeutig erkennen. Manchmal sogar aus dem fahrenden Auto heraus, weil die Straßenböschungen zu ihren bevorzugten Standorten gehört, jedenfalls wenn sie mindestens halbschattig sind. Mit ein bisschen Erfahrung und Kenntnisse der Standortsansprüche kann man den Dingel förmlich "riechen". Dies gilt allerdings nur für die Gattung an sich. Die Unterscheidung der beiden Arten von Ferne ist dagegen nicht möglich, da muss man schon aus dem Wagen aussteigen und näher hinsehen, und zwar in erster Linie auf den Sporn. Ist ein solcher vorhanden und ungefähr so lang wie der Fruchtknoten, handelt es sich eindeutig um Limodorum abortivum. Ist der Sporn jedoch sehr klein oder fehlt er gar ganz, so hat man Limodorum trabutianum vor sich. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal ist die Blütenlippe. Sie ist bei Limodorum abortivum nahe dem Grund eingeschnürt und an den Rändern hochgeschlagen, während sie bei Limodorum trabutianum nicht eingeschnürt, sondern spatelförmig und meist flach ausgebreitet ist.

Limodorum trabutianum kommt im südwestlichen Europa und westlichen Nordafrika vor und erreicht an der französischen Atlantikküste die nördliche, an der Côte d'Azur und in Kalabrien die östliche Verbreitungsgrenze. Die Art ist damit ein west und zentralmediterranes, westsubmediterranes und südatlantisches Florenelement. Die Blüten von Limodorum trabutianum sind mit bis zu 18 mm Lippenlänge recht dekorativ, oft aber wenig geöffnet. Und wenn es dem Dingel nicht passt, beispielsweise die Wasserversorgung knapp wird oder die Temperatur nicht angenehm ist, dann können die Knospen auch schon mal vertrocknen ehe sie aufgegangen sind (Kleistogamie). Wenn's ganz schlimm kommt, spart sie sich die oberirdischen Teile sogar ganz und blüht einfach unterirdisch. Und da sie autogam ist, sich also selbst bestäubt, kann sie selbst dann noch Samen bilden, wobei deren Verbreitung logischerweise eingeschränkt ist. Na wenn dieser Minimalismus kein evolutiver Fortschritt ist. Ansonsten ist der bis zu 55 cm Höhe erreichende Limodorum trabutianum, wie auch sein Pendant eine Art lichter Wälder, direkte Sonne verträgt er nicht so gut. Außerdem bevorzugt er eher kalkhaltige Standorte. Man kann ihn von der Küste bis hinauf in beachtliche 2.000 Meter Höhe finden. Die Blütezeit erstreckt sich von April bis Juni, wobei man am selben Standort nicht selten aufblühende und fast fruchtende Exemplare gleichzeitig antreffen kann.

Für die Hybridfanatiker unter den Orchideenfreunden ist die Art weniger interessant. Es sind nämlich bislang keine Hybriden nachgewiesen worden. Und es wird mit ziemlicher Sicherheit auch zukünftig keine geben, vor allem wegen der Autogamie. Allerdings kommen beide Arten an einigen Standorten gemeinsam vor, wer will da einen zufälligen Blütenbesuch mit Hybridbildung ganz ausschließen, zumal beide Arten zur selben Zeit blühen. Während in den Beständen ab und zu rötlich gefärbte Exemplare auftreten, die auch etwas überzogen als var. rubra bezeichnet werden, sind völlig albinotische Exemplare eine ganz besondere Rarität. Sie sind reinweiß von Kopf bis Fuß, oder besser gesagt von den Blüten bis zur Stängelbasis und leuchten schon von weitem im Wald entgegen, ein unvergesslicher Anblick, der erst wenigen Orchideenfreunden vergönnt war. Wir hoffen, Ihnen in Kürze ein solches Bild im Archiv zeigen zu können.

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Toscana (I), 26. Juni 2002


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Toscana (I), 24. Juni 2001


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Toscana (I), 26. Juni 2002


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Toscana (I), 24. Juni 2001