Listera ovata

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Schwäbische Alb (D), Mai 1981


Es muss ja nicht immer eine seltene Orchidee sein, unsere Orchidee des Monats. Listera ovata zum Beispiel ist nicht nur in Deutschland, Frankreich und der Schweiz die vermutlich häufigste Orchideenart, sondern auch noch über Europa hinaus weit verbreitet, nämlich in Vorderasien von der borealen bis zur meridionalen Zone, in Asien ostwärts durch die temperate Zone bis Zentralsibirien sowie von Kaukasien durch die meridionale Zone bis zum Westhimalaya. Im Mittelmeerraum ist sie seltener, weil sie längere Trockenheit nicht erträgt. Dort beschränkt sie sich deshalb auf die Gebirge Südspaniens, Siziliens, Kretas, und der Südtürkei. Selbst bis Nordamerika hat sie es geschafft, allerdings nicht ohne fremde Hilfe, denn dort wurde sie eingeschleppt und stellt somit einen Neophyten dar. Es handelt sich damit um ein meridional submeridional temperat boreales Florenelement.

Gründe für diese weite Verbreitung gibt es mehrere. Da ist zum Beispiel die ungewöhnlich hohe Zahl von Bestäuberrn. So wird Listera ovata nicht nur durch verschiedene Blatt- und Schlupfwespen bestäubt, sondern auch durch mehrere Käferarten, Fliegen und Ameisen. Selbst ungeschlechtlich Fortpflanzung tritt auf. Dann besitzt die Art eine für Orchideen ungewöhnlich hohe Konkurrenzkraft, denn sie ist wenig anspruchsvoll was Nährstoffgehalt und Wasserversorgung des Bodens betrifft. Kein Wunder also, dass man sie in ganz verschiedenen Biotopen findet, zum Beispiel in Wäldern, Gebüschen, Wiesen, Magerrasen, Flachmooren, ja selbst an Autobahnböschungen. Kurzum überall dort, wo tiefgründige und basenreiche frische bis nasse Böden vorliegen und die Nutzung nicht zu intensiv ist. Denn was nützt ein ansprechender Boden, wenn das Mähwerk Blütentriebe und Blätter abschneidet. Dass die einzelnen Pflanzen bis zu 20 Jahre alt werden können, trägt ebenfalls dazu bei, dass Listera ovata an geeigneten Standorten oft in größeren Beständen vorkommt. Zudem gelangt sie relativ schnell zur Samenreife. Die ersten Kapseln öffnen sich bereits, während die Pflanzen oben noch in Blüte stehen. Ungewöhnlich groß ist auch das vertikale Verbreitungsgebiet, es reicht von Meeresniveau bis hinauf in 2.600 Metern Höhe. Die Blütezeit reicht dementsprechend von Mai bis in den August (Gebirge).

Die Art mit ihren ovalen, meist zu zweit auftretenden Blättern und ihren grünen, spornlosen (!) Blüten kann nicht verwechselt werden, auch nicht mit ihrer kleinen Schwester Listera cordata. Die ist insgesamt schon viel kleiner und wegen ihrer ganz speziellen Standortsansprüche auch weitaus seltener. Näheres zu diesem Taxon finden sie im Archiv der Orchideen des Monats. Listera ovata, oder auch ganz treffend das große Zweiblatt, ist ein Rhizomgeophyt mit ausdauernder Grundachse. Im Frühjahr bilden sich aus Wurzelschösslingen zunächst die 2 tütenförmig zusammengerollten Blätter, in deren Mitte der Blütenstand sichtbar ist. Eine Besonderheit sei noch erwähnt: An der Lippenbasis wird Nektar gebildet, der auf der Lippenmitte in einer Saftspur herab rinnt ("Nektarfaden"). An der Nahaufnahme links ist das gut zu erkennen. Übrigens wird die Klebmasse bei Berührung zwischen Pollinien und Insekten gespritzt, auch ein raffiniertes Verfahren zur Arterhaltung.

Die Gattung Listera ist in Europa nur mit den bereits erwähnten zwei Arten vertreten und deshalb – Gott sei Dank – kaum Gegenstand intensiver taxonomischer Diskussionen. Dennoch gibt es auch bei dieser Art in jüngster Zeit etwas Verwirrung, taucht doch in einigen Werken der Name Neottia ovata auf. Dahinter stehen die Anhänger der neuen Klassifizierung, angeregt durch Bateman et al. Demnach handelt es sich bei Listera nicht um eine eigene Gattung und die beiden Vertreter werden der Gattung Neottia zugeschlagen. Wir haben schon an anderer Stelle erwähnt, dass durchaus einiges für diese neuen Ansichten spricht. Dennoch bleiben Zweifel, so dass wir lieber bei der ursprünglichen Gattungsbezeichnung Listera bleiben.

Das Kapitel Hybriden ist schnell abgehakt, es sind nämlich keine bekannt und auch keine zu erwarten. Auch Albinos wird man vergeblich suchen, wie bei allen grünblütigen Pflanzenarten. Allenfalls chlorophyllarme Varianten sind theoretisch denkbar, aus der Praxis aber nicht bekannt. Die einzige Farbvariation sind braune Farbtöne, die selten einmal stärker in Erscheinung treten. Ein Beispiel hierfür finden Sie in unserem Bildarchiv unter Farbanomalien. Der Chromosomensatz beträgt 2n= 24 (35-38).

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Schwäbische Alb (D), 27. Mai 2007


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Schwäbische Alb (D), Juni 1985


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Old Shoremoor (Schottland), 30. Juni 2002