Ophrys banacensis
(Reisigl) O., E. Danesch et F. Ehrendorfer

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Gardasee (I), 24.4.2002


Diese schöne Ragwurzart hat sich ein besonders attraktives Verbreitungsgebiet ausgesucht. Fast möchte man meinen, sie hat sich die Reiseprospekte der Tourismusindustrie angeschaut, bevor sie sich sesshaft gemacht hat. Man findet sie nämlich ausschließlich am Alpensüdrand zwischen Como bis Belluno. Bekannte Vorkommen liegen beispielsweise am Gardasee, wo der Verbreitungsschwerpunkt liegt und die Aufnahmen links entstanden sind. So ist übrigens auch der Name "Vom Benaco stammend" zu erklären. Die Art ist somit ein insubrischer Endemit. Insgesamt ist die Gardasee- oder auch Insubrische Ragwurz sehr selten.

Seltenheit und Lage der Vorkommen machen sie leider zu einer gefährdeten Art. Insbesondere der Bau von Feriensiedlungen und Infrastrukturmaßnahmen für den Tourismus, sowie die Aufgabe der landwirtschaftlichen Nutzung schränken den Lebensraum dieses attraktiven Art immer mehr ein. Dort, wo die Bilder im Jahr 2002 aufgenommen wurden, könnten schon in wenigen Jahren Ferienhäuser stehen. Als Alternative droht die Verbuschung, denn die Beweidung wurde schon vor längerer Zeit eingestellt und es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Wald das Gelände (zurück-)erobert hat. Das ist die Kehrseite der meist schönen Lage und Aussicht. Alles hat eben zwei Seiten. Helfen könnte eine Unterschutzstellung mit Sicherung durch angepaßte Bewirtschaftung oder Pflege. Aber wer hat heute noch dafür Geld übrig.

Ophrys benacensis wurde als eigenständige Art 1972 beschrieben. Lange Zeit gab es in der bertoloniformis-Gruppe nur zwei Arten, nämlich einmal Ophrys bertolonii mit der charakteristischen geknickten Lippe, die ihr auch den deutschen Namen Vögeleinragwurz einbrachte. Mit ein wenig Fantasie kann man in den Blüten tatsächlich ein Vögelein erkennen, das sich im Spiegel (dem Lippenmal) betrachtet. Die Petalen sind dabei die Flügel. Schauen Sie doch mal die Bilder in www.orchis.de an und entscheiden Sie selbst.

Die Bertolonii-Ragwurz ist eine noch heute gültige Art. Die andere, damals anerkannte Art war Ophrys bertoloniformis. Dazu zählten alles, was der Vögeleinragwurz ähnlich war, also ein deutlich abgesetztes Mal hatte, dessen Blütenlippe aber bereiter und vor allem kaum geknickt war. Die Bestimmung dieser lediglich zwei Arten war demnach recht einfach. Die Orchideen-Systematiker waren jedoch der Auffassung, dass das doch ein wenig zu einfach ist. Sie splitteten die "bertolonii-ähnlichen" - nichts anderes heiß ja "bertoloniformis" - in mehrere Arten, wodurch es deutlich komplizierter geworden ist. Ob indes alle heute gelisteten Arten ihren Artrang zurecht haben, mag dahingestellt sein. Dass die Gardasee-Ragwurz etwas besonderes ist, hat man schon früh erkannt und ihr zunächst den Namen Ophrys bertoloniformis Subspezies banacensis gegeben. Wenn die Insubrische Ragwurz als einzige im "Bertoloniformis"-Formenkreis von der Mörtelbiene Chalicodoma sicula bestäubt wird, ist wenigstens bei Anwendung des "bestäuberspezifischen" Namengebungsprinzips (populationsbiologischer Ansatz) der Artrang gerechtfertigt.

Interessant ist, dass man heute davon ausgeht, dass es sich bei den Arten des "bertoloniformis"-Komplexes um stabilisierte Hybridpopulationen zwischen Ophrys bertoloniformis und Arten aus dem Ophrys sphegodes-Formkreis handelt. So findet man bei gemeinsamen Vorkommen von Ophrys bertoloniformis und beispielsweise Ophrys sphegodes oder Ophrys incubacea immer wieder mal Einzelexemplare, die eindeutig als Hybriden zu identifizieren sind und einer Ophrys "bertoloniformis" verblüffend ähneln. Diese Hybrid-Populations-Hypothese könnte auch erklären, wie es die Insubrische Ragwurz geschafft hat, sich im etwas kälteren Norden festzusetzen. Für die wärmeliebende Ophrys bertoloniformis wäre es dort schon zu kühl. Wenn die Gardasee-Ragwurz aber aus einer Kreuzung von Ophrys bertolonii und Ophrys sphegodes hervorgegangen ist, dann könnte sich hier der Einfluss von Ophrys sphegodes bemerkbar machen, die ja kältetoleranter ist und deutlich weiter nach Norden ausstrahlt als die Insubrische Ragwurz oder gar die Vögelein-Ragwurz. Den Sprung über den Alpenhauptkamm hat die Art allerdings nicht geschafft - noch nicht, denn was die Klimaerwärmung bringt bleibt abzuwarten. Da sich bei einigen Arten der "bertoloniformis-Gruppe" individuenreiche Populationen herausgebildet haben, kann man schließen, dass ihre Entstehung schon längere Zeit zurückliegt. Andere Kollegen vermuten übrigens nicht Ophrys bertolonii als ein Elternteil, sondern Ophrys aurelia.

Die Hauptblütezeit der Insubrischen Ragwurz liegt Anfang Mai. Einzelne Exemplare können in tieferen Lagen bei entsprechender Witterung aber bereits Ende März aufblühen, während man in höheren Lagen auch Ende Mai noch einzelne blühende Exemplare finden kann. Die vertikale Verbreitung reicht von rund 200 bis über 800 Meter, wobei sonnige Lagen und kalkhaltige, trockene bis frische Böden bevorzugt werden. Man findet sie in aufgelassenen Oliven- oder Rebterrassen, auf Weiden und Mähwiesen oder in felsigen Trockenrasen.

Hybriden kann man gelegentlich mit Ophrys sphegodes und vor allem Ophrys insectifera entdecken. Sie sind besonders schön und stehen In der Rangliste der Wunsch-Fotoobjekte bei den Orchidophilen weit oben. Verschiedene Hybriden zwischen Ophrys benacensis und Ophrys insectifera können Sie im Bildarchiv bei www.orchis.de bestaunen.

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Gardasee (I), 24.4.2002


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Gardasee (I), 24.4.2002


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Gardasee (I), 24.4.2002


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Gardasee (I), 24.4.2002