Himantoglossum montis-tauri | |
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Jetzt ist es höchste Zeit, sich einer der schönsten Orchideen des Mittelmeers anzunehmen. Jeder Vertreter der Gattung Himantoglossum ist prächtig, keine Frage. Himantoglossum montis-tauri aber ist besonders attraktiv, ja man ist fast versucht, das Adjektiv atemberaubend zu verwenden. Wer sie zum ersten Mal sieht und zudem noch ein besonders stattliches und voll aufgeblühtes Exemplar vor sich hat wie links abgebildet, kann sich der Faszination Orchidee eigentlich kaum entziehen. Bis zu 90 Zentimeter hoch wird der Blütenstand, der bis zu 30 auffallende, ja man kann sagen kurios-spektakuläre Blüten trägt. Besonders auffällig und damit auch das besondere und unverwechselbare Erkennungszeichen ist der bis zu 10 Zentimeter lange lineale Mittellappen der Lippe. Er kommt in ähnlicher Form auch bei den anderen Himantoglossum-Arten vor und hat der Gattung den Namen Riemenzunge gegeben. Große taxonomische Verunsicherung gibt es bei unserer Orchidee des Monats zwar nicht. Dennoch: Obwohl ihre Merkmale eindeutig und eigenständig sind, auch hier kann man spekulieren oder interpretieren. Delforge beispielsweise vermutet, dass es sich bei der Taurus-Riemenzunge um eine möglicherweise noch nicht stabilisierte Hybridpopulation zwischen Himantoglossum affine und Himantoglossum caprinum handelt und weist auf solche spontanen Übergangsformen zwischen den beiden genannten Elternarten in Nordanatolien hin. Dagegen spricht die Tatsache, dass Himantoglossum caprinum im Hauptverbreitungsgebiet der Taurus-Riemenzunge im Südwesten der Türkei gar nicht vorkommt. Noch ein Hinweis sei angebracht: In manchen Orchideenführern wird die Taurus-Riemenzunge in die Synonymität zu Himantoglossum bolleanum gestellt (z. B. Baumann et al., 2007), wobei sich die dafür verantwortliche Beschreibung von Aceras bolleana vermutlich auf Himantoglossum affine bezog. Wenn dem so ist, wäre Himantoglossum bolleanum ungültig. Die Monte Taurus-Riemenzunge kommt - wie der Name schon vermuten lässt - insbesondere im Taurus-Gebirge vor. Aber auch auf Lesbos wurde sie gesichtet, und möglicherweise kommt sie auch in Israel vor. In der Türkei kann man die unverwechselbare und damit aus unserer Sicht gute Art nur in der Gegend von Antalya (Akseki, Ibradi, Cevizli, Kuyucak und Termessos) hier und da finden und bestaunen. Kein Wunder, dass sie erst 1997 als eigenständige Art beschrieben wurde. Im Vorkommensgebiet ist sie nirgends häufig. Und wenn sie vorkommt, dann meist in wenigen Exemplaren, ganz im Gegenteil zu vielen Vertretern der Gattung Orchis oder Dactylorhiza, die gerne im Rudel auftreten. Himantoglossum montis-tauri gehört zu den vergleichsweise spät blühenden Orchideenarten. Meist erst Ende Mai bis Anfang Juni steht sie in Hochblüte. Man findet sie zwischen lockerem (Eichen-)Gebüsch oder auch an Straßenböschungen, in grasigen Wiesenflächen und in lichten Eichen- und Nadelwäldern, falls nicht schon meist zweibeinige Orchideenknollenräuber die Pflanzen dort entdeckt haben. Was den Wasserbedarf betrifft, ist sie eher anspruchslos, selbst trockene Böden vermag sie zu erobern. Kalkhaltig sollte der Standort allerdings sein. Die vertikale Verbreitung liegt zwischen 800 und 1.200 Metern. Zwei Bemerkungen zur Abartigkeit: Albinos haben grün-weiße Blüten ohne Zeichnung, und nachdem man bereits auf Lesbos einen Bastard zwischen Himantoglossum montis-tauri und Comperia comperiana fand, wurde vor kurzem einer dieser spektakulären Hybriden auch aus der Türkei beschrieben. Selbst in Mitteleuropa kann sich eine Vertreter der wärmeliebenden Gattung behaupten. Himantoglossum hircinum, die Bocks-Riemenzunge, hat sogar in den letzten 15 Jahren in Süddeutschland deutlich zugenommen. Die harten Winter 2012 und 2013 haben jedoch ihren Tribut gefordert und viele Bestände auf der Schwäbischen Alb völlig zusammenbrechen lassen. Die Riemenzungen im Mittelmeerraum haben dieses Problem nicht. Die Taurus-Riemenzunge ist dennoch schon alleine wegen des vergleichsweise kleinen Verbreitungsgebiets stark gefährdet. Bedauerlicherweise kommt hinzu, dass ihre Knollen von der einheimischen Bevölkerung nach wie vor in großem Stil ausgegraben werden zur Gewinnung des Stärkeersatzes "Salep", eine offensichtlich nicht in den Griff zu bekommende Unsitte, die trotz gesetzlichem Verbot immer noch weit verbreitet ist. Insbesondere die Gattungen Himantoglossum und Orchis sind hiervon betroffen. Zum einen sind deren Knollen deutlich größer als beispielsweise die der Gattung Ophrys, so dass sich das Ausgraben für die Wilderer eher lohnt. Zum anderen sind die Vertreter beider Gattungen auch von Laien gut zu erkennen. Auffälligkeit hat eben ihren Preis. Auch bei unserem Besuch vor wenigen Wochen mussten wir in den Riemenzungen-Beständen unzählige frische Ausgrabungslöcher feststellen. Es ist eine Schande. | |