Nigritella rubra subsp. minor | |
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Nachdem wir mit Platanthera montana zuletzt eine schon seit 1827 bekannte Orchideenart behandelt haben, ist diesmal ein absoluter Newcomer an der Reihe. Es hat sich vermutlich schon herumgesprochen, dass die Autoren gerade von den Bergorchideen besonders fasziniert sind. Inbegriff der Bergorchideen sind zweifelsfrei die Kohlröschen, die man nur ganz ausnahmsweise in Höhenlagen unter 1600 Metern finden kann und die man sich meist durch eine zünftige Bergwanderung erst erarbeiten muss. So nimmt es nicht Wunder, dass wir die meisten der mitteleuropäischen Kohlröschen-Taxa bereits als Orchidee des Monats beschrieben haben, aber offensichtlich noch nicht alle. Diesmal ist ein nämlich ein Taxon an der Reihe, das erst 2007 beschrieben wurde. Und das ist in mehrerlei Hinsicht erstaunlich. Erstens sind die Kohlröschen von verschiedenen Autoren insbesondere zwischen 1985 und 1998 ausführlich untersucht worden. Gab es ursprünglich nur zwei Taxa, nämlich das Schwarze und das Rote Kohlröschen, sind es mittlerweile immerhin rund 18 Sippen. Zweitens wurden botanisch besonders interessante Standorte schon vielfach aufgesucht, auch von Orchideenfreunden, so dass man eigentlich annehmen müsste, dass zumindest dort kein Taxon bislang unentdeckt geblieben ist. Es ist deshalb höchst bemerkenswert, dass unsere Orchidee des Monats erst so spät bewusst als eigenständige Sippe wahrgenommen wurde, handelt es sich bei dem Fundgebiet sogar um den locus classicus von Nigritella nigra subsp. austriaca und Nigritella widderi! Dabei sind die Unterscheidungsmerkmale zu Nigritella rubra subsp. rubra relativ eindeutig. Nach den Erstbeschreibern Foelsche und Zernig aus Graz ist Nigritella minor im Vergleich zu Nigritella rubra subsp. rubra gekennzeichnet durch die Kombination folgender drei Merkmale: Durchmesser des Blütenstandes kleiner als 18 mm, oberste Stängelblätter und Deckblätter ohne dunkelrot überlaufene Ränder sowie Lippen der untersten Blüten kürzer als 5,5 mm mit der Taille in der Lippenmitte. Die ausführliche Beschreibung des Taxons einschließlich seiner interessanten Entdeckungsgeschichte können Sie in folgender Veröffentlichung nachlesen: Wolfram Foelsche und Kurt Zernig: Nigritella minor spec. nova (Orchidaceae), ein neues Kohlröschen aus der Steiermark. Joannea Botanik 6, Seite 5-22 (2007). Übrigens, damit keine Verwirrung entsteht: Beschrieben wurde das Kleine Kohlröschen im Artrang. Gemäß unserem gesamtsystematischen Ansatz, der an anderer Stelle unserer Seite näher erläutert wird, führen wir das Taxon im Unterartrang von Nigritella rubra. Es kommt nach derzeitigem Wissenstand ausschließlich in einem Naturschutzgebiet der Hochschwabgruppe NNW von Leoben vor (locus classicus). Das Taxon blüht am Standort gemeinsam mit Nigritella nigra subsp. austriaca, Nigritella widderi und Nigritella rubra subsp. rubra in einem relativ tiefgründigen, alpinen Kalkmagerrasen zwischen 1700 und 1880 Höhenmetern. Es ist vor dem Hintergrund des Schutzstatus des Gebiets trotz der großen Besucherzahlen kaum gefährdet. Allenfalls die offensichtlich völlig fehlende Nutzung und die dadurch bedingte langsame Verfilzung der Grasnabe könnte sich negativ auf den Gesamtbestand auswirken. Am 1. Juli 2008 stand das kleine Kohlröschen mit rund 500 Exemplaren in voller Blüte, begleitet von rund 50 Nigritella widderi, rund 1000 (!) Nigritella nigra subsp. austriaca und einer beachtlichen Zahl an Nigritella rubra subsp. rubra. Ein anwesender Naturschutzwart, der die Einhaltung der Naturschutzgebietsverordnung überwachte, erklärte uns zudem, dass im letzten Jahr auch zwei Nigritella archiducis-ioannis gefunden wurden, was wir bei unserem Besuch 2008 trotz intensiver Suche nicht bestätigen konnten. Da diese Art jedoch relativ spät blüht, gut ansprechbar ist und auch schon aus den Eisenerzer Alpen gemeldet wurde, ist ein Vorkommen im Hochschwab-Massiv durchaus denkbar. Zudem beobachteten wir - vergesellschaftet mit Einzelexemplare von voll erblühten Nigritella nigra subsp.austriaca - bei unserem Besuch eine kleine Gruppe Schwarzer Kohlröschen, die trotz leichter Südexponierung und außerhalb von Schneewechten gelegen erst in Knospen standen und auch niederwüchsiger waren. Nach Analyse der ersten (allerdings meist nicht repräsentativen) Blüten könnte es sich durchaus um Nigritella rhellicani subsp. rhellicani handeln. Damit kommen im Naturschutzgebiet gesichert vier, möglicherweise sogar fünf oder sechs verschiedene Kohlröschen-Sippen vor, und das ist schon außergewöhnlich. Nebenbei sind auch Chamorchis alpina und Herminium monorchis und natürlich mindestens Tausend Edelweiß einen Besuch wert. Die Chromosomenzahl unserer Orchidee des Monats beträgt 2n= 80, die Fortpflanzung erfolgt apomiktisch über Nuzellarembryonen, was die vergleichsweise kurze Blütezeit erklärt. Hybriden sind denkbar, aber wie bei allen apomiktischen Kohlröschen sehr selten. Entsprechendes gilt für Farbvarianten. So verwundert es nicht, dass wir unter den vielen Kohlröschen weder eine Hybride mit Gymnadenia conopsea, noch irgendwelche Farbvarianten entdeckt haben. Ein reinweiß blühendes Exemplar, das eine Woche vor unserem Besuch fotografiert wurde und eine absolute Rarität darstellt, haben wir leider nicht mehr gefunden, so dass eine Bestimmung nicht möglich ist. | |