Epipactis helleborine subsp. distans

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Briancon, F 2. Juli 2011


Nach einigen Ragwurzen ist jetzt wieder mal ein Vertreter aus der Gattung Stendelwurz dran. Über diese, aus unserer Sicht reichlich problematische Gattung haben wir uns schon wiederholt ausgelassen, das wollen wir nicht wiederholen. Fakt ist, dass die jüngste Explosion an neuen Arten für uns nicht nachvollziehbar ist. Wir wollen uns deshalb auch nur den eindeutig im Gelände identifizierbaren Taxa widmen. Dazu zählt - mit gewissen Einschränkungen - Epipactis helleborine subsp. distans.

Bereits 1872 von Arvet-Touvet als Epipactis distans beschrieben war sie über längere Zeit nur aus den französischen Westalpen und den angrenzenden Gebieten Italiens bekannt. Mittlerweile sind Vorkommen in Spanien, Norditalien, Österreich, Polen und Schweden sowie aus der Schweiz und der Slowakei gefunden worden. Auch in Deutschland wurde sie nachgewiesen, beispielsweise im fränkischen Jura und der Oberpfalz. Selbst auf der baden-württembergischen Alb treten Exemplare auf, die der kurzblättrigen Ständelwurz verblüffend ähneln und etwas früher blühen als die dort meist ebenfalls vorkommende Subspezies helleborine. Es würde uns nicht wundern, wenn bald noch weitere Vorkommen dazu kämen.

Eindeutig ist indes auch der taxonomische Rang der kurzblättrigen Stendelwurz nicht. Baumann et al. führen das Taxon synonym zu Epipactis helleborine subsp. orbicularis. Die Einschätzung, wonach das Taxon "orbicularis" sich von "distans" nicht unterscheiden lässt, widerlegt Kretzschmar allerdings in einem Beitrag im Journal Europäische Orchideen. Und was sagen die anderen Orchideenspezialisten dazu? Karel Kreutz führt das Taxon als Unterart von Epipactis helleborine, eine Meinung, der wir uns nun auch anschließen wollen, nicht nur wegen der immer vorhandenen und längere Zeit funktionsfähig bleibenden Rostelldrüse. Für Delforge und manche französische Kollegen ist es dagegen schlicht Epipactis distans. Aufschlussreich ist wieder mal ein Blick in das hübsche Buch von Sundermann. 1980 gab es für ihn in Europa gerade mal fünf (!) Stendelwurzarten und 12 Unterarten von Epipactis helleborine. Das waren noch Zeiten! Zählen Sie jetzt mal in Delforge nach.

Das wohl auffälligste Erkennungsmerkmal sind die wenigen, recht kurzen und runden, stängelumfassenden und schräg aufwärts gerichteten Laubblätter. Sie haben dem Taxon auch seinen deutschen Namen Kurzblättrige Stendelwurz gegeben. Der lateinische Namen beschreibt den relativ weiten Abstand der einzelnen Blätter am Stängel. Die Blüten dagegen haben eine starke Ähnlichkeit mit denen von Epipactis helleborine, was auch erklärt, dass manche Orchideenfreunde das Taxon als Unterart von Epipactis helleborine führen. Allerdings blüht Epipactis distans rund 2 Wochen vor der Subspezies helleborine oft zusammen mit Epipactis atrorubens subsp. atrorubens, mit der sie gelegentlich Hybriden bildet. Auch wenn in manchen Populationen, wie beispielsweise in dem von uns Anfang Juli diesen Jahres besichtigten Bestand in den französischen Westalpen bei Briancon, sehr hellblütige Exemplare überwiegen, gibt es durchaus auch Exemplare mit rosa bis hellroten Petalen oder rosa Epichil.

Apropos Westalpen: Wir fanden dieses Jahr auf dem Weg zum Col d'Izoard eine interessante Population. Neben Exemplaren mit typischem Habitus, die am 2. Juli gerade erst aufblühten oder gar noch in Knospen standen, wuchsen andere mit deutlich längeren und hängenderen Blättern aber ebenfalls sehr hellen Blüten. Sie hatten das Blühoptimum bereits überschritten. Eindeutig zuordnen kommen wir diese Exemplare nicht, möglicherweise handelte es sich um Übergänge zu Epipactis mülleri, was auch den früheren Blühzeitpunkt erklären würde. Bei dieser Gelegenheit: Pflanzen in Ostspanien wurden 2004 von Delforge als Epipactis molochina abgetrennt, u.a., mit der Begründung kräftiger gefärbter Petalen. Wir halten diese Abtrennung für nicht nachvollziehbar.

Die Art mag sommerwarme, trockene Kiefernwälder oder Magerrasen und steht meist halbschattig auch an Wegrändern und Straßenböschungen. Auch das unterscheidet das Taxon von der Unterart helleborine, die sich ja bekanntlich eher im Wand oder an Waldwegrändern wohlfühlt und auf Grund des schattigen Standortes auch wesentlich größere Blätter ausbildet. Kalkhaltiger Untergrund ist allerdings Grundvoraussetzung. Die Unterart helleborine ist da nicht ganz so wählerisch, sie kommt durchaus auch auf relativ sauren Böden vor, beispielsweise im Buntsandstein des Schwarzwalds. Hinauf wagt sie sich die kurzblättrige Stendelwurz bis 2.200 Meter, das ist doch recht beachtlich.

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Briancon, F 2. Juli 2011