Ophrys sphegodes subsp. grassoana
Cristaudo, Galesi, Lorenz und Zelesny

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Ätna, Sizilien (I), 20. April 2009


Wir wollen ja nicht eitel sein, aber diesmal haben wir uns ein Taxon herausgesucht, an dem wir nicht ganz unschuldig sind. Es wurde erst 2010 beschrieben, ist also noch druckfrisch. Wir möchten mal die Geschichte aus unserer Sicht erzählen. Es begann für uns mit einer Reise nach Sizilien im April 2009. Viel Orchideen aber auch viel Regen gab es da. Auch den Ätna haben wir besucht, und hier beginnt unsere Geschichte, die am besten durch unseren Reisebericht erzählt wird. Hier Auszüge davon. Den gesamten Text der Sizilienreise können Sie unter der Rubrik "Exkursionsberichte" nachlesen. Jetzt also das Zitat:

Weiter hinaufzufahren auf den Ätna macht keinen Sinn, die Sicht ist gleich Null. Außerdem beginnt es wieder leicht zu regnen. Wir kehren also um und suchen lieber wieder weiter unten, unterhalb der Wolkendecke, da verlaufen wir uns wenigstens nicht. Man sollte ja auch mal Landschaften fotografieren, aber bei dem Wetter, da siehste ja kaum was. Wo sind bloß der blaue, sizilianische Himmel und die fotogenen Schönwetterwölkchen? Aber einige Fotos der Lavafelder sollten wir schon noch machen in dieser unwirklichen Welt, zu der das Wetter eigentlich doch wieder ganz gut passt. An einer geeigneten Stelle halten wir trotz strömenden Regens. Die Lava hat sich hier geologische gesehen gerade erst gebildet, absolut gesehen ist sie natürlich schon etliche Jahre alt. Die Fläche ist kaum bewachsen, nur in den Fugen und Spalten hat sich schon etwas Humus angesammelt, dort kann sich auch etwas besser das Wasser halten. Nur nicht heute, da läuft nämlich eigentlich alles über. Echte Pioniervegetation ist das hier eben.

Doch was ist das? Plötzlich stolpern wir über eine Ragwurz, die sich in einer kleinen Lava-Spalte festgekrallt hat. Wir wussten gar nicht, dass die auch zu den Pionieren auf Lava gehören. Und was bitte schön soll das für eine sein? Die Blüten sind so auffallend klein, dass wir als erstes spontan auf Ophrys araneola oder ein verwandtes Taxon tippen. Aber so etwas haben wir bislang noch in keiner der Orchideenlisten von Sizilien gesehen. Und außerdem, mit so dunklem Kolorit und so stark gegliedertem Mal? Damit ist der Entdeckerdrang wieder voll geweckt. Trotz des Regens durchkämmen wir die nähere Umgebung und finden oberhalb und unterhalb der Straße einen ansehnlichen Bestand von über 200 Exemplaren dieser merkwürdigen Ragwurz. Und vermutlich sind es noch weit mehr, denn vollständig können wir die Flächen wegen des stärker werdenden Regens gar nicht unter die Lupe nehmen. Sie steht in voller Blüte. Um die Variabilität zu demonstrieren, wird fleißig fotografiert. Was stört, sind die Regentropfen auf den Blüten. Aber es regnet so stark, dass ein Abtrocknen völlig sinnlos wäre. Wir werden uns dann später nach reiflicher Überlegung entscheiden, was wir damit anfangen. Mit einem neuen, eigenständigen Taxon sollte man zwar vorsichtig sein, aber hier drängt sich der Verdacht schon auf. Wir gaben ihm spontan den aus unserer Sicht höchst passenden Arbeitsnamen Ophrys sphegodes subsp. aethnensis.

Zitat Ende. Diese Entdeckung war also rein zufällig und völlig unerwartet. Wir verdanken sie der Tatsache, dass echte Orchideensucher auch bei strömendem Regen ins Gelände gehen. Wieder zurück in Deutschland bestätigte Herr Lorenz, guter Kenner der sizilianischen Orchideen, unsere Einschätzung, dass wir es hier mit etwas eigenständigem zu tun haben, dessen Veröffentlichung sich anbieten würde. Im weiteren Verlauf stellten wir dann fest, dass die sizilianischen Orchideenfreunde dieses Phänomen auch schon an mehreren Stellen entdeckt hatten und bereits an einer Veröffentlichung dazu arbeiteten. Eine solch große Population mit rund 200 Pflanzen hatten sie aber noch nicht gefunden. Was sollten wir jetzt tun? Nun, wir beschlossen eine gemeinsame Veröffentlichung, so sollte es auch sein unter Orchideenfreunden. Als Namen für das Taxon schlugen die sizilianischen Kollegen dann Ophrys sphegodes subsp. grassoana vor. Damit sollten die Verdienste von Frau Dr. Maria Pia Grasso Muntoni gewürdigt werden, die sich um die sizilianische Orchideenflora speziell am Ätna verdient gemacht hat. Wir einigten uns darauf, obwohl wir Personenkult eigentlich nicht mögen und uns der Name aethnensis besser gefiel, schon deshalb, weil die Unterart bislang ausschließlich am Ätna gefunden wurde. Über Namen lohnt es sich nicht zu streiten, das soll auch für dieses Taxon gelten. Die Veröffentlichung erfolgte schließlich im Journal europäischer Orchideen 42(1), 184 (2010).

Die Unterart ist recht vielgestaltig, insbesondere was die Malzeichnung betrifft. Allen Exemplaren gemeinsam ist die auffallend kleine Blütengröße, das meist dunkle Kolorit der Lippe und die stark gegliederte Malzeichnung. Von der Subspezies sphegodes hat das Taxon die grünen Sepalen und grünbraunen Basalschwielen, von der Subspezies garganica die oft ausgebreiteten, aufgehellten Lippenränder. Über die offensichtlich speziellen Standortswünsche des Taxons haben wir schon berichtet. Ob es auch auf "normalen" Böden außerhalb der Lavafelder in größerer Stückzahl vorkommt, bleibt abzuwarten Die Hauptblütezeit liegt Mitte April und fällt zusammen mit der Vollblüte von Dactylorhiza romana, die auf entsprechender Meereshöhe in den Wäldern des Ätna nicht selten ist. Hybriden sind natürlich möglich, wurden von uns jedoch bei der Ätna-Population nicht gefunden. Verwunderlich ist das nicht angesichts der Ragwurz-Armut an diesem Wuchsort. Viel mehr gibt es nicht zu berichten von diesem jungen Taxon. Mal sehen, wo es in den nächsten Jahren noch überall gefunden wird.

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Ätna, Sizilien (I), 20. April 2009


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Ätna, Sizilien (I), 20. April 2009