Orchis morio subsp. morio

Zum vergrössern hier klicken

Tübingen (D), 8.5.2015


Nach einer kleinen schöpferischen Pause bei den Beschreibungen zur Orchidee des Monats geht es in diesem Monat um ein Taxon, das vermutlich die meisten Leser schon selbst gesehen haben. Dies liegt zum einen daran, dass es auch in Deutschland vorkommt und es zum zweiten auch zweifelsfrei bestimmt werden kann. Aber der Reihe nach.

Erst einmal zur Namensgebung. Wie bei vielen anderen Gruppen auch war es taxonomisch einmal recht einfach. Alles mit entsprechender violetten Blüten mit zurückgeschlagenen, dunkleren Lippenseitenlappen, helleren, mehr oder weniger stark dunkel punktierten oder gefleckten Lippenzentren und vor allem innen stark grünnervigem Helm war Orchis morio, basta. Dann kamen weitere Unterarten hinzu. Nach neuesten Erkenntnissen gehört Orchis morio zur Gattung Anacamptis und umfasst folgende 6, in der Regel gut morphologisch abgegrenzte Unterarten: morio, caucasica, champagneuxii, longicornu, picta und syriaca. Die Unterart mit dem größten Verbreitungsgebiet ist zweifelsfrei das Taxon "morio". Es reicht von England im Norden über Frankreich bis Nordspanien und umfasst ganz Mitteleuropa einschließlich der Alpenländer und das gesamte italienische Festland. Selbst im Baltikum und in der Ukraine sind Einzelfunde bekannt geworden.

Die Unterart wächst auf Magerrasen und auf trockenen bis wechselfrischen oder gar feuchten Wiesen (zum Beispiel Streuwiesen im Alpenvorland). Auch was den Ph-Wert betrifft, ist die Art wenig wählerisch. Der Boden darf basen- und kalkreich sein (wie zum Beispiel bei Kalkmagerrasen der Schwäbischen Alb) oder aber kalkfrei (Lehm- und Tonböden im Vorland der Schwäbischen Alb). Angesichts der doch sehr breiten Amplitude bei den Standortsfaktoren ist der starke Rückgang umso erstaunlicher. Nur beim Stickstoff darf es nicht zu viel sein. Zu starke Düngung insbesondere mit Gülle oder Kunstdünger macht der Unterart schnell den Garaus. Aber auch Brachfallen mag sie wegen der geringen Konkurrenzkraft gar nicht. Was die Höhenverbreitung betrifft findet man sie von Meeresniveau bis hinauf in die montane Stufe.

In Deutschland ist das dekorative Knabenkraut insbesondere in der Mitte und im Süden verbreitet, wobei der Begriff "verbreitet" eigentlich nur für längst vergangene Zeiten stimmt. Die Unterart hat nämlich in Deutschland, aber auch in ganz Europa in den letzten 20 Jahren einen dramatischen Bestandsrückgang zu verzeichnen. Dies mag zum einen am Verlust verschiedener Lebensräume durch Intensivierung der Nutzung oder aber am Rückgang der Bestäuber liegen, oder aber auch mit der Klimaänderung zu tun haben. Dies können jedoch nicht alleinige Ursachen sein, zumal viele Vorkommensflächen unter gezielter Pflege des Naturschutzes stehen. Oder liegt es paradoxerweise gerade daran? Hierzu sei von einem Vorkommen berichtet, das der Autor seit vielen Jahren regelmäßig besucht. Konnte man sich vor 17 Jahren dort noch in den Orchideen suhlen, ging der Bestand in den folgenden Jahren kontinuierlich zurück, trotz entsprechendem Pflegevertrag. Das blumenbunte Grünland wurde vermutlich nicht gedüngt und einmal jährlich abgeerntet. Der Ertrag ging zurück und die Fläche versauerte oberflächlich zusehends, was an der Begleitflora unschwer abzulesen war. Vor rund 5 Jahren war das Kleine Knabenkraut fast völlig verschwunden. Dann wurde offensichtlich eine Rinderbeweidung spät im Jahr etabliert, in deren Folge nicht nur die Säurezeiger zurückgegangen, sondern auch die Knabenkräuter zurückgekehrt sind. In diesem Jahr kamen wieder über 200 Exemplare zur Blüte bei verhältnismäßig gutem Fruchtansatz. Angenehme Begleiterscheinung: Auch die Brandknabenkräuter, die ebenfalls bereits fast ganz verschwunden waren, sind wieder in ordentlicher Zahl an diesem Standort vertreten.

Was lernen wir daraus? Die Sache ist sehr komplex. Immer dasselbe Kochrezept funktioniert nicht, manchmal muss man auch experimentieren, bis man die richtige Bewirtschaftung gefunden hat. Und nicht immer führen bei vom Menschen geschaffenen Lebensräumen Nulldüngung und seltener Schnitt zum gewünschten Ergebnis. Man kann Orchideenwiesen auch totpflegen. Jedenfalls darf man gespannt sein, ob die Zunahme an Orchis morio subsp. morio wenigstens an diesem Standort nachhaltig sein wird. Damit kein Missverständnis entsteht: Natürlich gibt es auch viele Fälle, wo Nulldüngung und einmaliger später schnitt Erfolg haben, so zum Beispiel auf einer Heide bei Hechingen, wo Orchis morio jedes Jahr in weit über 1.000 Exemplaren zur Blüte kommt. Es ist einfach schwierig.

Hybriden bildet die Subspezies morio mit allen anderen Vertretern der oben genannten Gruppe sowie weiteren Vertretern der heutigen Gattung Anacamptis, als da sind: Anacamptis pyramidalis, A. collina, A. palustris, A. boryi, A. coriophora und vergleichsweise häufig A. laxiflora und A. papilionacea. Wir führen diese Taxa (mit Ausnahme von Anacamptis pyramidalis) in unserem Bildarchiv noch unter den "alten" Namen (z.B. Orchis papilionacea), also bitte nicht verwirren lassen. Besonders "begehrt" unter Orchideenfreunden sind Hybriden mit verschiedenen Vertretern der Gattung Serapias. In Frage kommen für solche Gattungshybriden die Taxa "levantina", "lingua", "neglecta", "orientalis" und "vomeracea". Viele davon finden sie in unserem Bildarchiv. Alle anderen Hybridmeldungen mit Vertretern der Gattung "Orchis" sind zweifelhaft, solche mit Vertretern der Gattung Dactylorhiza sehr unwahrscheinlich. Was die Zytologie betrifft herrscht offensichtlich Unklarheit, denn es gibt drei unterschiedliche Angaben: 2n=20, 2n=36 und 2n=38. Dabei wäre es schon wegen der Diskussion um mögliche Hybriden hilfreich, wenn diese Frage korrekt beantwortet werden könnte.

Zum vergrössern hier klicken

Bad Ditzenbach (D), 9.5.2015


Zum vergrössern hier klicken

Bad Ditzenbach (D), 9.5.2015


Zum vergrössern hier klicken

Donzdorf (D), 4.5.2013


Zum vergrössern hier klicken

Cervaro (I), 10.5.2009