ORCHIDEEN EUROPAS
EXKURSIONSBERICHTE
 

 

 

Bericht über eine Orchideenreise in die

Französichen Alpen

am 12. und 13. Juli 1999

Teil I

von

Dr. Helmuth Zelesny, Börtlingen

 

Montag 12. Juli 1999

 

Nigritella corneliana und Nigritella (Gymnadenia) cenisia?

Was nun? Rechts Nigritella corneliana und links Nigritella (Gymnadenia) cenisia?

 

Allerletzte Orchideenexkursion für dieses Jahr. Wir wollen in die französischen Südalpen, nach der herrlichen Nigritella corneliana sehen. Vor 15 Jahren hatte ich nach einer sehr anstrengenden Bergtour die ersten gefunden und auch fotografiert. Diesmal wollen wir uns gezielt dieser schönen Kohlröschenart widmen, und insgeheim hoffen wir, eine der seltenen Hybride mit Gymnadenia conopsea zu finden.

Nach dem Frühstück brechen wir auf. Hoch hinauf soll's heute gehen, dorthin wo die Kohlröschen blühen (sollen). Wir denken, dass wir gut daran tun, dem Fahrplan der Tour de France auszuweichen. Also nehmen wir uns eine Passtraße vor, wo die Tour erst übermorgen durchkommt. Es sollte also keine Probleme geben, haben wir leichtfertigerweise gedacht.

Bei der Auffahrt erregen Markierungen links am Hang unsere Aufmerksamkeit. Es sieht aus wie ein Versuchsparzelle, abgesteckt für wissenschaftliche Untersuchungen. Und weil wir schon angehalten haben, sollte ein Blick durchs Fernglas nicht schaden. Und da die Überraschung: rosablühende Kohlröschen! Das müssen sie sein. Grund genug, die Fotoausrüstungen zusammenzupacken und hinaufzukriechen, auch wenn das Gelände recht steil aussieht.

Dann eine zweite Überraschung. Neben den aufgeblühten rosablühenden Nigritella corneliana entdecken wir auch schwarze Kohlröschen, die gerade aufblühen. Nach der Literatur und unseren Beobachtungen müsste es sich um Nigritella rhellicani handeln. Andere, wesentlich stattlichere, großblütigere Exemplare sind bereits voll erblüht. Hier vermuten wir Nigritella nigra ssp. gallica. Wir haben also offensichtlich genau die Höhenlage, so um die 2200 Höhenmeter, erwischt, in der sich die Vorkommen der schwarzen und der rosablühenden Arten überschneiden. Nigritella corneliana kommt nämlich hier erst zwischen 2200 und 2450 Höhenmetern vor, wo Schwarze Kohlröschen sehr selten sind. Die findet man unterhalb, etwa zwischen 2100 und 2200 Metern. Dort aber gibt es meist keine Nigritella corneliana. Bei einigen wenigen, verhältnismäßig dunklen Exemplaren vermuten wir Hybriden zwischen beiden Arten.

 

Soweit unsere damalige Diagnose. In Band Nr. 139 der Zeitschrift "Orchidophile" der Société Francaise d'Orchidophilie vom Dezember 1999 finde ich dann einen sehr interessanten Artikel, der unsere Funde in ein neues Licht rückt. Dort wird unter dem Namen Gymnadenia cenisia eine Nigritellen-Art neu vorgestellt. Ihre Beschreibung passt verblüffend auf die von uns gefundenen dunkelblütigen Exemplare. Da die Pflanze am kleiner Sankt Bernhard und in den Massiven des Grand Paradiso, der Vanoise, des Mont Cenis und des Grand Galibier vorkommen soll, sind wir uns ziemlich sicher, diese Pflanze gefunden zu haben. Bei Gelegenheit werden wir wohl unsere Homepage aktualisieren müssen. Auch andere Orchideenarten finden wir, weitere Hybriden aber nicht. Nigritella nigra ssp. gallica (vereinzelt, aufblühend), Nigritella corneliana (zerstreut, blühend), Traunsteinera globosa (vereinzelt, blühend), Dactylorhiza sambucina (zerstreut, verblüht), Pseudorchis albida (zerstreut, knospend-blühend) und Coeloglossum viride (zerstreut, blühend). Sehr schön auch die großblumigen, kurzstieligen Enziane, der punktierte Enzian, der hier gar nicht selten steht, und einige weißblühende Narzissen.

 

Die Tour de france wirft ihre Schatten voraus...

So was muss man gesehen haben. Jeder Platz größer 1 Meter am Straßenrand ist belagert. Alle wollen die Tour de France sehen. Da sage noch einer, wir Orchideensucher seien verrückt.

Die Aussicht hinunter ins Tal ist großartig. Noch schöner wäre es, wenn die Hunderte von Wohmobile nicht entlang der Straße parken würden. Es ist unglaublich. Ich dachte eigentlich, wir Orchideensucher seien leicht verrückt. Aber was die Fahrradfreunde hier veranstalten, ist schon sehenswert. Obwohl die Tour erst übermorgen vorbeikommt, ist schon jetzt jede auch noch so kleine Straßenbucht besetzt. Mit Autos, Zelten, Campingtischen und was der Camper noch so braucht. Gegrillt wird stellenweise auf der Straße. Überall hängen Fahnen, sogar die Straße ist in allen Farben bemalt. Für uns ist der ganze Rummel mehr als lästig, denn wir finden auf der Abfahrt einfach nicht das klitzekleinste Plätzchen um den Wagen abzustellen und nach Orchideen zu suchen. Und mitten auf der Straße können wir ja schließlich nicht parken. So hat halt jeder seine Probleme.

Immer weiter fahren wir, gezwungenermaßen, hinunter. Wir suchen schon e-nen Platz zum wenden, da gelingt es uns doch noch ein Plätzchen für unseren Wagen zu finden, wo das Bankett gerade so breit ist wie ein Auto. Nur Mut! Ganz ohne uns umgesehen zu haben wollen wir schließlich nicht wieder hinauffahren durch das Spalier der Fahrradenthusiasten. Robert blickt hinüber in die angrenzende Wiese und ich höre nur ein überraschtes: "Da steht alles voll". Und tatsächlich: Rechts der Straße ein großer Bestand von Nigritella corneliana, voll erblüht, und diesmal in typischer Ausprägung, fast durchweg rosa mit helleren Farben in der Blütenstandsspitze. Das hätten wir so weit unterhalb des Passes nicht mehr vermutet. Aber was soll's. Über zwei Stunden streifen wir im Gelände umher und fotografieren was das Zeug hält. Vermutlich hätten wir diesen schönen Platz nicht entdeckt, wenn uns nicht die Fahrradfreunde gezwungen hätten, so weit zu fahren. Merci beaucoup!

 

Meine Befürchtung, Dominik könnte es langweilig werden, bestätigt sich zum Glück nicht. Er wurde nämlich inzwischen von Stefan zu seinem persönlichen Adjudanten ernannt. Ganz geschickt hält er das Blitzgerät, packt neue Filme aus und kramt andere Objektive aus dem großen Fotorucksack. Auch wenn es nicht immer das richtige Teil ist, Stefan hat die nötige Geduld, und vermittelt das Gefühl, ohne Adjudanten ginge es nicht. Derart wichtig, bleibt Dominik von nun an an seiner Seite. Noch Monate später berichtet Dominik von der "Vanille" (=Nigritella) und dem großen Fotorucksack.

Auch andere Orchideenarten finden wir. Interessant ist die Zonierung. Nur an den etwas trockeneren Stellen blüht Nigritella corneliana, insbesondere an den mageren Böschungen am Rande kleiner Bachläufe und feuchter Senken. An den tieferen, nasseren Stellen dagegen steht ausschließlich Dactylorhiza alpestris. Sehr schön auch einige Anemone narcissiflora und verschiedene Läusekraut-Arten. Zu Beginn der Reise hatten wir insgeheim gehofft, wenigstens ein Exemplar der bildschönen Hybride zwischen Nigritella corneliana und Gymnadenia conopsea zu finden. Nachdem die Blütenstände fast aller Händelwurzpflanzen in diesem Jahr erfroren sind, haben wir allerdings nicht mehr all-zu viel Hoffnung. Aber man kann ja nicht alles haben.

 

Stefan und sein mobiler Blitzhalter Dominik

Professionelle Ausrüstung von unserem Orchideenfreund Stefan. Sehr hilfreich ist der mobile Blitzhalter, der auf Zuruf reagiert. Sowas hat nicht jeder!

Ich kann mir schon vorstellen, was sich die Camper denken, die am Straßenrand hocken mit ihren Bierchen in der Hand und uns zusehen, wie wir, in der Wiese liegend, mit den Blitzgeräten hantieren. Mittlerweile hat sich ein weiteres Fahrzeug hinter uns auf das Bankett gequetscht. Nachdem wir andeuten, dass wir nicht bleiben und bald wieder verschwinden und somit Platz für Campingtisch und Stühle machen, sind die neu angekommenen erleichtert und wir kommen ins Gespräch. Die zwei jungen Leute sind tatsächlich letzte Nacht in Norddeutschland losgefahren, übernachten heute und morgen hier in ihrem Kombi, um anschließend wieder direkt nach Hause zu fahren. Und das alles nur, um 30 Minuten lang Radfahrer zu sehen. Ist das nicht irre?

 

Anemone narcissiflora

Auch das hübsche Berghähnlein (Anemone narcissiflora) wächst fast ausschließlich auf Kalkhaltigen Böden.

 

Gentiana angustifolia

Die Bergflora ist unglaublich vielfältig, und nicht nur der Orchideen wegen lohnt es sich, genauer hinzusehen. Entzückend sind beispielsweise die stengellosen Enziane. Übrigens gibt es zwei, sogenannte vikariierende Arten. Die eine, der schmalblättrige Enzian (Gentiana angustifolia) wächst über kalkhaltigem Gestein, zum Beispiel hier in den Südalpen. Die andere, der Stengellose Enzian (Gentiana kochiana) findet man dagegen auf Silikat und Schiefer.

 

Nachdem wir uns über anderthalb Stunden ausgetobt haben, wühlen wir uns durch die Autos und Menschenmassen wieder hinauf auf die Passhöhe und fahren zurück. Damit soll es für heute genug sein, wir haben alle mächtig Kohldampf. Obwohl wir bei der Abfahrt noch einige interessante Stellen sehen, fahren wir zügig hinunter ins Tal und beziehen unsere neuen Zimmer im Hotel.

 

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