ORCHIDEEN EUROPAS
EXKURSIONSBERICHTE
 

 

 

Bericht über eine Orchideenreise nach

Sizilien

im April 1999

Teil I

von

Dr. Helmuth Zelesny, Börtlingen

 

Massenbestand von Orchis italica bei Chiaramonte

Massenbestand von Orchis italica bei Chiaramonte

 

Sizilien ist der italienischen Halbinsel im Südwesten Kalabriens vorgelagert und mit einer Fläche von 25.709 km2 die grösste Mittelmeerinsel. Mit rund 5 Millionen Einwohnern besitzt Sizilien eine für Italien mittlere Bevölkerungsdichte von 191 Einwohnern je km2. Politisch gehört Sizilien als autonome Region zu Italien.

 

Sizilien ist eine Gebirgsinsel. Parallel zur Nordküste verlaufen die reich gegliederten Bergketten der Monti Peloritani, Nebroden und der Madonie, deren höchster Punkt der fast 2.000 Meter hohe Pizzo Carbonara ist. Geringere Höhen erreichen die häufig aus Kalken aufgebauten Sikanischen Berge im Südwesten. Im Südosten liegen die Ibleischen Berge mit dem fast 1.000 Meter hohen Monte Lauro als höchster Erhebung. Sie sind durch ausgedehnte Schichten vulkanischen Ursprungs auf häufig tief eingeschnittenen Kalktafeln gekennzeichnet. Alles überragend und höchster Punkt der Insel aber ist der 3.323 Meter hohe Ätna, der bei unserem Besuch gerade aktiv ist.

Sizilianische Landschaft mit Ätna, Feigenkakteen und Baumwolfsmilch

Sizilianische Landschaft mit Ätna, Feigenkakteen und Baumwolfsmilch

 

Karte von Sizilien

 

Sizilien war ursprünglich waldreich. Viel ist nicht davon übriggeblieben. Naturnahe Vegetation findet sich vor allem in der montanen Stufe. In den niederen und mittleren Lagen überwiegen xerotherme Gras- und Buschformationen, die oft wichtige Orchideenbiotope sind. In jüngster Zeit wird verstärkt versucht, Flächen wieder aufzuforsten, insbesondere mit Kiefern. Die immer wieder natürlichen und vom Menschen bewusst und unbewusst verursachten Wald- und Buschbrände konterkarieren oft diese Bemühungen. Soweit diese kurze Einführung.

Von schweizer Orchideenfreunden habe wir einen Tip für eine Unterkunft in den orchidenreichen Monts Iblei bekommen. Da uns dies günstig für unsere Ausflüge nach Osten, aber auch nach Süden erscheint, beschliessen wir, gemütlich dorthin zu fahren. Als erstes fällt uns am Strassenrand ein blutrot blühender Klee auf. Ihn hatten wir schon vom Flugzeug aus neben dem Rollfeld entdeckt. Später bestimmen wir ihn als Kronen-Süssklee (Hedysarum coronarium). Auch die stattlichen Ferula communis fallen auf. Sie stehen teilweise schon in Blüte.

 

In einer Spitzkehre bei einem Haus, erkennen wir blühende Ragwurzpflanzen. Wir halten an, um in die, vor wenigen Jahren abgebrannten Terassen links und recht der Strasse hineinzuschnuppern. Wir sind gespannt, wie die Orchideenflora in diesem Jahr entwickelt ist und was wir finden werden. Gleich neben der Parkbucht blüht eine Orchis longicornu, auch noch mit Doppellippe. Na das geht ja gut los. Schon nach wenigen

 

Orchis longicornu, eine der häufigsten Orchideen auf Sizilien

Orchis longicornu, eine der häufigsten Orchideen auf Sizilien

 

Ophrys exaltata

Nicht immer leicht zu identifizieren: Ophrys exaltata

Schon nach wenigen Minuten haben wir das erste Problem. Steht da nun Ophrys exaltata oder Ophrys panormitana in Blüte? Paulus und Gack (1989) haben dargelegt, dass es sich um zwei, morphologisch unterscheidbaren sogenannte „Biospezies" mit unterschiedlichen Bestäubern handeln soll. Demnach sind weder die Farbe des Perigons, noch die Dreilappigkeit alleine entscheidend, sondern Kombination und die Lippenform. Die Bestimmung von Biospezies nach unterschiedlichen Hauptbestäubern ist in der Fachwelt allerdings umstritten.

 

 

An dieser Stelle seien vorweg einige grundsätzliche Anmerkungen zu den Arten Ophrys atrata, O. sphegodes, O. garganica, O. panormitana und O. exaltata erlaubt. Für Sizilien werden alle fünf Arten genannt. Von Ophrys atrata finden wir während unseres Aufenthaltes zahlreiche Exemplare mit den typischen Merkmalen. Die Art unterscheidet sich nicht von den Exemplaren aus anderen Regionen Italiens, z.B. Monte Gargano oder Monte Argentario. Von Ophrys garganica dagegen können wir nur wenige typisch ausgeprägte Exemplare finden. Da diese Vorkommen innerhalb grösserer Populationen von Ophrys panormitana oder Ophrys atrata auftreten, ist zu fragen, ob es sich tatsächlich um Ophrys garganica, oder nicht vielmehr um abnorme Exemplare der zuletzt genannten Arten oder Übergangsformen handelt. Nach anfänglichen Schwierigkeiten können wir Ophrys panormitana und Ophrys exaltata recht gut differenzieren. Dies gilt insbesondere für Ophrys panormitana in der Region der Monte Iblei und Ophrys exaltata in der Region von Palermo. In manchen Fällen aber ist eine eindeutige Zuordnung zu den 5 genannten Arten nicht möglich. Offensichtlich kommt es zur Bildung von Mischpopulationen. Als Ophrys sphegodes, die ja nun wirklich eine breite Merkmalsamplitude besitzt, sprechen wir keines der gefundenen Exemplare an.

 

Hybride Ophrys fusca x Ophrys lutea

Immer wieder mal zu finden: Hybride Ophrys fusca x Ophrys lutea

 

Schnell kommen weitere Arten hinzu und auch das nächste Problem zeigt sich bald. Wie war es früher doch einfach, da war alles schlicht Ophrys fusca. Das das nicht der Realität entspricht, hatte ich schon vor 15 Jahren am Monte Argentario bemerkt. Dort waren mir nämlich einmal frühblühende, grossblütige Pflanzen aufgefallen. Als diese schon fast verblüht waren, begann eine kleinblütige Ophrys fusca zu blühen. Die Schlussfolgerung damals: Es musste sich um zwei verschiedene Arten handeln. In der damals noch spärlichen Orchideenliteratur war dazu leider nichts zu finden. Mittlerweile haben sich Systematiker eingehend mit dem Problem befasst und eine Reihe verschiedener Arten differenziert. Leichter ist es damit allerdings nicht geworden.

 

Deshalb sind an dieser Stelle einige grundsätzliche Anmerkungen zum "Ophrys-fusca-Aggregat" angebracht. Während Galesi (1996) dieses Aggregat nicht weiter untergliedert, existieren nach Delforge (1994) auf Sizilen nicht weniger als 7 (!) Arten bzw. Unterarten. Unter den grossblütigen Arten wird die frühblühende Ophrys attavira aufgeführt. Zudem gibt es noch eine sizilianische Sippe dieser Art. Paulus und Gack (1989) stellten fest, dass sie von einer anderen Insektenart bestäubt wird, so dass sie diese Sippe in den Rang einer Biospezies erhoben. Wir selbst finden typische gross-blütige "fusca"-Arten nicht (mehr). Allerdings werden wir an einem Standort zwei Pflanzen mit auffallend grossen Blüten entdecken, die gerade erst aufzublühen beginnen. Eine Zuordnung ist uns nicht möglich.

 

Was meinen Sie? Ophrys fusca (bilunulata) und Ophrys fusca ???

Was meinen Sie? Ophrys fusca (bilunulata) und Ophrys fusca ???

Als mittelgross blühende Arten werden Ophrys forestieri, obaesa und bilunulata, und zusätzlich noch eine sizilianische Sippe von Ophrys bilunulata aufgeführt. In einigen Fällen wird uns eine Zuordnung möglich sein, in anderen aber nicht. Im letzteren Falle wird Ophrys fusca mit mittelgrossen Blüten von uns notiert. Die meisten von uns gefundenen Pflanzen dürften Ophrys bilunulata bzw. deren sizilianischer Sippe zuzuordnen sein. Eindeutig zu bestimmen ist die kleinblütige Ophrys funera, die an einigen Standorten gerade in voller Blüte steht.

 

Damit noch nicht genug, denn von Sizilien wurden in jüngster Zeit zwei weitere Arten aus der Ophrys fusca-Gruppe beschrieben. Es ist zum einen die seltene Ophrys mirabilis, die eindeutig an der fehlenden Furche an der Lippenbasis zu erkennen sein soll. Darüber hinaus blüht sie vergleichsweise spät, was vermutlich auch der Grund dafür ist, dass wir am locus classicus südlich des Monte Fromaggio kein blühendes Exemplar entdecken werden. Auch die seltene Ophrys laurensis werden wir (noch) nicht finden. An dieser Stelle sei noch Ophyrs pallida erwähnt. Diese, in Sizilien nur im Nordwesten vorkommende Art ist eindeutig bestimmbar. Wir werden sie später aufblühend und zerstreut am bekannten Standort bei Ficuzza finden.

 

Ophrys tenthredinifera

Ophrys tenthredinifera, oft mit breitem, ausgebreiteten gelben Rand

 

Bei einem lichten Kiefernwald halten wir wieder. Dort sollte es eigentlich Orchideen geben. Und tatsächlich wird die Liste bei kühlem, windigem, wolkigem Wetter immer länger. Die Ophrys tenthredinifera Pflanzen sind übrigens auffallend grosswüchsig und grossblütig. Bei rund 10% der Pflanzen ist der gelbe Lippenrand zudem nicht nach hinten gebogen, sondern flach ausgebreitet. Ein bisschen erinnern sie an die grossblütige Variante, die auf Mallorca wächst.

 

Und was die Schmetterlingsknabenkräuter betrifft, gibt es Unklarheiten. Nach Delforge (1994) kommen auf Sizilien 2 Arten bzw. Varietäten vor. Zum einen Orchis papilio-nacea var. decipiens. Ihre Lippe ist gestreift bzw. punktiert und etwas grösser als die nicht gezeichnete var. rubra, die wir auf Sizilien nicht finden werden. Deutlich grösser, aber ansonsten ähnlich in Form und Zeichnung ist Orchis papilionacea papilionacea var. grandiflora. Und das ist das Problem. Die Grösse allein ist meist ein schlechtes Merkmal, da sie ganz massgeblich von den Wuchsbedingungen abhängt. Nur dann, wenn andere Merkmale wie unterschiedlicher Blühzeitpunkt dazukommen, oder wenn beide Varietäten am selben Standort stehen, kann man eine eindeutige Zuordnung vornehmen. Wir haben uns bei der Benennung an die Grössenangaben gehalten. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass sich eine italienische Arbeitsgruppe der Schmetterlinge angenommen hat. Nach deren genetischen Untersuchungen sollen alle Schmetterlinge einfach Schmetterlinge sein, eine Untergliederung sei nicht gerechtfertigt. Das wiederum kann ich nach 15 Jahren Orchideenexkursionen nicht so recht glauben. Wie dem auch sei, schön anzusehen sind sie allemal.

 

Es ist schon fast dunkel als wir im Hotel ankommen. Nach einem kurzen Schwatz mit dem Hotelbesitzer und einer kurzen Zimmerbesichtigung entschliessen wir uns, wenigsten zwei bis drei Tage hier zu bleiben. Es ist zwar nicht luxuriös, dafür soll die Übernachtung nur 35 DM pro Person kosten, für sizilianische Verhältnisse echt günstig. Wir wollen sparen, denn im Mai soll’s noch 10 Tage nach Südfrankreich gehen. Beim Abendessen empfiehlt uns der Chef seinen selbst hergestellten Wein, „without any chemicals". Ein guter Tafelwein allemal. Eine 1 Liter Pulle wird uns die ganze Woche begleiten. Heute freilich schaffen wir den Liter noch nicht ganz.

 

Orchis longicornu, fast schmächtig zu Orchis papilionacea grandiflora

Orchis longicornu, fast schmächtig zu Orchis papilionacea grandiflora

 

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