ORCHIDEEN EUROPAS
EXKURSIONSBERICHTE
 

 

 

Bericht über eine Orchideenreise nach

Sizilien

im April 1999

Teil II

von

Dr. Helmuth Zelesny, Börtlingen

 

Sonntag

Wir sind in immerhin 900 Metern über dem Meer, mitten in den Monts Iblei. Kein Wunder, dass es am nächsten Morgen ziemlich frisch ist. Die Wolken ziehen durch den Ort, als wir nach dem sparsamen italienischen Frühstück aufbrechen. An einer Straßenböschung entdecken wir Orchis lactea und Orchis papilionacea papilionacea. Insbesondere im Kiefernwald oberhalb der Strasse stehen Orchis longicornu und Orchis lactea in Massen, zudem Ophrys tenthredinifera, Ophrys panormitana und Ophrys sicula.

Monts Iblei

In den Monts Iblei, im April nicht immer sonnig und warm

 

Ophrys speculum

Eine der schönsten Ragwurzarten überhaupt: Ophrys speculum

 

Dann entdecken wir ein besonders interessantes Gelände in der Nähe eines alten Friedhofs, wobei uns besonders ein Albino von Orchis longicornu freut. Auf einer Fläche von vielleicht 50 mal 50 Metern finden wir 15 verschiedene Arten und zwei Hybriden. Es sind: Orchis italica (zerstreut, blühend), Orchis longicornu (zerstreut, blühend), Orchis longicornu albiflora (Einzelexemplar, blühend), Ophrys speculum (verbreitet, blühend), Serapias vomeracea (vereinzelt, knospend-aufblühend), Serapias bergonii (vereinzelt, aufblühend), Ophrys funera (zerstreut, blühend-aufblühend), Ophrys fusca (bilunulata) (zerstreut, verblühend), Ophrys lutea (zerstreut, blühend), Ophrys sicula (zerstreut, blühend), Ophrys bombyliflora (zerstreut, blühend), Ophrys atrata (vereinzelt, blühend), Barlia robertiana (Einzelexemplar, verblüht), Ophrys biancae (vereinzelt, blühend), Ophrys tenthredinifera (zerstreut, blühend-verblühend), Ophrys lutea x Ophrys sicula (vereinzelt, blühend) und Ophrys fusca (bilunulata) x Ophrys sicula (Einzelex., verblühend). Auch eine Hybride Ophrys bombyliflora x Ophrys panormitana finden wir, die einzige während unserer Reise.

 

Wir fahren weiter. Rechts der Strasse fallen rosablühende, buschförmige und uns bislang aus dem Mittelmeerraum nicht bekannte Ericas auf, auch ein Albino ist darunter. Da das Gelände auch orchideenverdächtig aussieht, halten wir. Nach den Fotos und der Literatur handelt es sich um Erica multiflora. Allerdings blüht die üblicherweise im Herbst. Die Baumheide, die im Frühjahr blüht, ist es mit Sicherheit nicht. Sie können wir gut fotografieren, etwas anderes aber ist nicht im Bild festzuhalten: Hier ist er wieder, bei jedem Tritt, der herrlich intensive Duft der Macchiensträucher und -kräuter. Ist der Gesang der Nachtigall das Lied dieser Landschaft, so ist dieser Geruch von Rosmarin, Thymian und Lavendel der Duft dieser Landschaft. Beides kann man nicht beschreiben. Man muss es schon selbst hören, fühlen und riechen.

 

Erica multiflora

Erica multiflora mit verspäteter Blüte. Oder etwa eine Hybridpopulation?

Wir suchen einen Standort, den wir in einer 10 Jahre alten Beschreibung gefunden haben. Aber: Fehlanzeige. Nichts ist mehr da. Das zeigt uns mal wieder, dass es eigentlich keinen Sinn macht, Standortsangaben zu folgen die älter als 10 Jahre sind. Meist ist man doch ziemlich enttäuscht. Andererseits sind solche Vergleiche aber auch interessant, weil man dadurch sehr schön die Veränderung der Landschaft und der Lebensräume nachweisen kann. Alte Standorte verschwinden, neue entstehen. Unter dem Strich aber gehen nach unseren langjährigen Beobachtungen die extensiv genutzten Standorte am Mittelmeer zurück. Einerseits wird viel verbaut, andererseits werden Flächen intensiviert oder fallen brach. All dies ist der Orchideenflora abträglich.

 

An einer anderen Stelle bestätigt sich, was wir schon zuvor an anderen Orten beobachtet haben. Ein nicht zu hoher Besatz mit Rindern ist weit weniger abträglich für die Vegetation als intensive Schaf- oder Ziegenbeweidung. Es bleibt genügend übrig, vor allem dann, wenn das Gelände weitläufig und mit Büschen durchsetzt ist.

 

Eine Geschichte am Rande: Hier soll es nach Literaturangabe Ophrys lunulata geben. Auch sonst wird dieser herrliche Endemit, der schwerpunktmässig im Südosten und Nordwesten Siziliens vorkommt, in der Literatur häufig angegeben. Wir sind ganz verunsichert, weil wir ihn noch nirgends entdecken konnten. Blüht er noch nicht, ist er gar schon verblüht? Unscheinbar kann diese Art ja wohl nicht sein. Plötzlich ein Aufschrei. Neben einem Kuhfladen steht ein mickriges, zerknittertes, angefressenes Pflänzlein. Das muss eine sein. Schön ist sie wirklich nicht, aber es scheint keine weiteren in der Umgebung zu geben. Also wird fotografiert. Sicherheitshalber. Falls wir tatsächlich keine andere finden sollten, haben wir wenigstens diese hier. Und, ihr könnt es euch sicher denken: Es dauert keine 10 Minuten bis wir weitere blühende Pflanzen entdecken. Natürlich viel grösser und schöner. Von nun an werden wir an fast jedem Standort Ophrys lunulata notieren. Zufall?

 

Ophrys lunulata

Ophrys lunulata, vielleicht der schönste Endemit Siziliens

 

Mit 17 Arten und möglicherweise einer Hybride ist dies der bislang ergiebigste Standort. Besonders freut uns ein Exemplar der sehr seltenen rotblühenden Variante des italienischen Knabenkrautes (Orchis italica rubra). So etwas hatten wir bislang nicht gesehen. Die Blütenlippen sind so dunkel einfarbig, dass die Blende für eine ausreichende Belichtung 1 ½ Stufen weiter als üblich geöffnet werden muss. Der Sporn und Teile des Helms dagegen sind weiss, so dass ein auffallender Kontrast im Blütenstand entsteht.

 

Orchideenbiotope bei Sortino

Orchideenbiotope bei Sortino

Und noch etwas soll an dieser Stelle gesagt sein. Ophrys biancae, die nur im Süden der Insel vorkommt, ist recht variabel, was die Ausbildung, Zeichnung und Färbung des Mals betrifft. Meist ist sie dennoch gut zu identifizieren: Insgesamt überwiegen hellere Farbtöne, die Blüten sind verhältnismässis klein. Man benötigt schon den Ab-bildungsmassstab 2:1 um einigermassen formatfüllende Bilder zu erhalten. Bei Ophrys oxyrrhynchos, die schwerpunktmässig im Süden der Insel vorkommt und Ophrys tenthredinifera ist oft der Massstab 1:1 schon zu gross. Und genau das ist der grösste Haken an der Theorie, bei Ophrys biancae handle es sich um eine gefestigte Hybridpopulation von Ophrys tenthredinifera und Ophrys oxyrrhynchos. Deren Blüten sollten nämlich viel grösser sein. Bei etwas grösseren Ophrys biancae, die Ophrys tenthredinifera sehr ähnlich sehen, kommen dennoch Zweifel auf, ob es sich nicht doch um eine Hybride handelt.

 

Damit sind wir für heute wahrlich gut bedient. Der Tag ist fast zu Ende, so dass wir uns entschliessen, die Kameras zu verpacken und ins Hotel zurückzufahren. Wir folgen der Beschilderung auf einer neu geteerten Strasse, die in unserer Karte gar nicht als Fahrstrasse eingezeichnet ist. Die Wahl ist goldrichtig, denn an dieser Strecke liegen, wie wir später noch sehen werden, ganz besondere Orchideenplätze. Die Fahrt geht bergauf, durch Eichenwäldchen. Es ist schon fast dunkel, da entdecken wir vom Auto aus viele Orchis longicornu und Orchis lactea in Blüte. Deswegen langsam fahrend fällt uns plötzlich ein weisslicher Blütenstand ins Auge. Da müssen wir doch noch kurz raus und nachsehen. Zu unserer Überraschung ist es ein herrliches Exemplar von Orchis provincialis, in voller Blüte.

Welch überraschender Fund am Ende dieses sehr erfolgreichen Tages. Fotografieren können wir nicht mehr. Mit der Taschenlampe auf Orchideensuche, das wäre wohl doch leicht übertrieben. Da das Gelände nur rund 10 Minuten vom Hotel entfernt liegt, entschliessen wir uns, zu einem späteren Zeitpunkt wiederzukommen und uns näher umzusehen. Kurz vor 8 Uhr erreichen wir das Hotel, wo bereits ein Liter des leckeren schwachprozentigen Haustrunks auf uns wartet. Tageskilometer: 143.

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Auf Sizilien besonders stattlich: Orchis provicialis

 

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