ORCHIDEEN EUROPAS
EXKURSIONSBERICHTE
 

 

 

Bericht über eine Orchideenreise nach

Sizilien

im April 1999

Teil III

von

Dr. Helmuth Zelesny, Börtlingen

 

Montag, 12. April

Es ist zwar noch neblig, aber insgesamt scheint es heute besseres Wetter zu geben. Immer wieder ist die Sicht fast Null, wir sind mitten in den Wolken. Unser heutiges Ziel ist die Gegend von Niscemi, die sehr orchideenreich sein soll. Aus der Weide rechts der Strasse lachen uns Orchis papilionacea papilionacea und Orchis longicornu entgegen als wollten sie sagen: Kommt doch herauf und bewundert uns. Und es sind in der Tat besonders schöne Exemplare. Zu Hunderten stehen sie dicht an dicht. Und dabei sind noch nicht mal alle aufgeblüht!

 

Ganz besonders freuen wir uns über die zweifelsfrei bestimmten ersten für uns neuen Hybriden dieser Reise. Na Gott sei Dank. Wir dachten schon, Sizilien sei in diesem Jahr Hybridenfrei. Eigentlich sind sie nicht selten, die Mischformen zwischen Vertretern der Orchis morio-Gruppe und des Schmetterlingsknabenkrautes. Dennoch haben wir erstaunlicherweise bislang noch keinen gesehen unter all den Hunderten Orchis longicornu und Orchis papilionacea papilionacea, denen wir schon begegnet sind.

 

Von der Blütengrösse haben wir zum ersten Mal den Eindruck, die Varietät grandiflora des Schmetterlingsknabenkrautes vor uns zu haben. Diejenigen Exemplare, die wir bislang gesehen haben, waren deutlich kleiner in den Blütenabmessungen. Uns bleibt nichts anderes übrig, als die Varietäten aufgrund ihrer Dimensionen zu unterscheiden.

Wir fahren weiter in die Gegend südlich Niscemi. Aber einerseits sind unsere Angaben vage, andererseits ist das Gelände mittlerweile stellenweise stark zugewachsen. Wir beschliessen, weiterzufahren und auf eigene Faust nach geeigneten Standorten zu suchen. Da Mittagszeit ist, halten wir und genehmigen uns erst mal ein Mittagessen.

Orchis  papilionacea grandiflora

Orchis papilionacea grandiflora, eine der häufigsten Orchideenarten auf Sizilien

Das sieht übrigens jeden Tag recht ähnlich aus: Reste des Frühstücksweissbrotes, Eine Flasche Mineralwasser, eine bis mehrere Orangen - natürlich frische, unterwegs am Strassenrand eingekauft - und für den Fahrer einen Marsriegel aus Roberts Bestand, zur Stärkung. Das ist nicht gerade üppig, aber durchaus in Ordnung, denn wir sind ja nicht hier des Essens wegen. Es gibt schliesslich abends etwas warmes beim Chef. Ausserdem sind wir schon wieder gespannt, was uns in dieser Wiese erwartet. Und es wird sich lohnen

Ophrys oxyrrhynchos

Einer der Endemiten Siziliens, die unverwechselbare Ophrys oxyrrhynchos

Bereits unterhalb der Strasse, nur wenige Meter vom Auto entfernt, sind wir von den besonders schönen Gruppen "echter" Ophrys oxyrrhynchos begeistert. Zu Hunderten sind sie in der Weide aufgeblüht, welch ein Anblick. Alle möglichen Zeichnungen finden wir, viele haben einen breiten gelben Rand. Manche haben ein bis über ¾ der Lippe ausgedehntes Mal. Da aber die Petalen sehr klein und die Petalen grün sind, glauben wir nicht, dass es sich um die Varietät celiensis handelt. Entsprechende Angaben in der Literatur wären zu überprüfen. Die meisten Exemplare haben ein grünes Perigon, aber es sind auch welche mit weissem und rosa Sepalen und Petalen dabei. Wir glauben allerdings nicht, dass es sich um Hybriden handelt. Die Art ist offensichtlich variabel. Im Vergleich zu den bislang besuchten Standorten in den Monts Iblei bei Buccheri ist die Vegetation hier deutlich weiter entwickelt. So stehen bereits zahlreiche Serapias vomeracea und Serapias bergonii in Blüte.

Übrigens werden Serapias vomeracea und Serapias bergonii nach Delforge (1994) nach der Breite der Lippe unterschieden. Wir haben viele genauer angeschaut und mussten feststellen, dass es alle Zwischengrössen gibt. Die Zuordnung ist uns deshalb in Einzelfällen nur schwer möglich gewesen. In den sizilianischen Serapias bergonii vermuten Künkele und Lorenz (1995) übrigens einen Inselendemiten. Sein Vorkommen ist nach derzeitigem Kenntnisstand auf den Süden der Insel beschränkt.

 

Serapias orientalis var. siciliensis

Serapias orientalis ssp. siciliensis wurde erst 1993 beschrieben. Sie ist eine der Endemiten Siziliens

Bei Serapias vomeracea handelt es sich nach Auffassung der genannten Autoren offensichtlich ausschliesslich um die Subspezies longipetala. Die erst 1993 erstmals beschriebene Serapias orientalis ssp. siciliensis dagegen ist ein Endemit, der bislang auf 8 Quadranten im Süden der Insel gefunden wurde. Schwerpunkt ist die Gegend südlich Niscemi. Unsere Begeisterung steigert sich noch, als wir uns in dem Gelände links der Strasse umsehen. Eigentlich sieht es etwas zu "grün" aus, aber dennoch ist die Fläche ungemein orchideenreich. Vollends aus dem Häuschen sind wir, als Robert zwei herrliche Bastarde zwischen Ophrys lunulata und Ophrys panormitana findet. Darauf haben wir lange gewartet. Und da es die Orchideen heute gut mit uns meinen, finden wir auch gleich noch einen Hybriden zwischen Ophrys oxyrrhynchos und Ophrys atrata. Über zwei Stunden wühlen wir in den Orchideen und fotografieren alles, was uns ungewöhnlich erscheint. Zuhaus, beim Sichten der Fotos wird dann deutlich, dass noch ein paar Hybriden zwischen Ophrys lunulata und Ophrys atrata / panormitana dabei sind. Es ist der "Hügel der Hybriden", denn an keinem anderen Standort werden wir so viele finden wie hier.

Zum ersten mal finden wir Pflanzen, die man als Ophrys garganica ansprechen könnte. Extrem breite, gewellte Petalen und typische, gewölbte Lippenform. So kennen wir sie vom Monte Gargano. Bei einem Exemplar handelt es sich sogar möglicherweise um eine Hybride zwischen Ophrys garganica und Ophrys atrata. Ausserdem finden wir ein Exemplar des erst 1939 beschriebenen Endemiten Serapias orientalis ssp. sicula und unseren ersten Aceras auf Sizilien. 20 verschiedene Arten und 5 verschiedene Hybriden, da macht orchideensuchen Spass!

Beim nächsten Halt entdecken wir unter Hunderten von Orchis italica auch zwei reinweiss blühende. Der Standort scheint auch anderen Orchideenliebhabern bekannt zu sein, denn wir bekommen Besuch von einem Heidelberger, der schon zum wiederholten Male hier ist und jetzt noch einige "Spezialitäten" sucht. Hier hofft er, eine besondere, endemische Variante der Hummelragwurz zu entdecken, die erst im letzten Jahr von Mitarbeitern der Universität Catania auf Sizilien beschrieben wurde. Ophrys mirabilis, ein weiterer Endemit, den wir später auch noch suchen wollten, soll aber noch nicht blühen. Der Kollege schätzt, dass die Vegetation rund 2 Wochen zurück ist und er prophezeit uns, dass wir auch die sowiese recht spät blühende Ophrys lacaitae nicht finden werden. Übrigens wächst hier noch ein weiterer Albino, und zwar von der hier wachsenden Lupinus varius.

 

Mittlerweile hat sich über uns ein Gewitter zusammengebraut. Dennoch halten wir auf der Fahrt zurück Richtung Hotel weiter nach Orchideen Ausschau. Richtige Orchideensucher schreckt so schnell nichts ab. Trotz leichten Regens müssen wir anhalten, denn rechts der Strasse haben wir auf einer aufgelassenen Rebterasse einen Massenbestand von Orchis italica entdeckt. Sowas haben wir bislang noch nicht gesehen, und wir haben schon viel gesehen. Auf einer Fläche von vielleicht 100 Quadratmetern stehen mehrere Hundert dieser Knabenkräuter in Blüte. Und weil das noch nicht genug ist, ist auch noch ein Albino dabei! Wirklich beeindruckend.

Blütenmeer auf Sizilien

Frühling auf Sizilien heißt oft ein Blütenmeer

Viertel nach Neun sind wir schliesslich im Hotel nach einer Fahrstrecke von insgesamt 165 Kilometern. Wenigstens der Wein steht schon auf dem Tisch. Der Chef empfiehlt heute mit Nachdruck "Cannelloni della casa". Wir wissen wohl, warum. Denn unten im grossen Saal ist mal wieder eine Familienfeier. Und dort gibt es, richtig, Cannelloni della casa. Auf ein oder zwei Esser mehr kommt es schliesslich nicht an. Aber was soll's, ein besseres Essen hätten wir heute hier nicht bekommen. So kann jeder zufrieden sein.

 

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