ORCHIDEEN EUROPAS
EXKURSIONEN
 

 

 

Bericht über eine Orchideenreise nach

Sizilien

im April 1999

Teil IV

von

Dr. Helmuth Zelesny, Börtlingen

 

Dienstag, 13. April

Heute sind wir etwas später dran. Wir freuen uns auf den heissen Kaffee. Als wir zu Tisch gehen, steht der (lauwarme) Kaffe schon da und unser Chef ist ausgeflogen. Wenn man halt zu spät kommt... Dann müssen wir zuerst mal Karten kaufen, sonst sind wir wieder mal früher zuhause als unsere Grüsse. Man will ja schliesslich nicht die eigene Grusskarte aus dem Briefkasten holen. Dann geht's wieder ins Gelände, denn das Wetter scheint gut zu werden. Es ist noch neblig und kühl, aber die Sonne kommt schon durch. So machen wir uns auf den Weg gen Süden. In aus der Literatur bekannten Terassen mit Affodill und Erica sehen wir uns näher um. Als erstes fallen uns die kurzstieligen Iris auf. Es ist Iris pseudopumila, die in Apulien und auf Sizilien endemisch ist. Hier blühen sie in gelb und blau. Und die Orchideenliste wird mit zunehmender Suchzeit immer länger. 20 Arten und eine Hybride, nicht schlecht.

 

Iris pseudopumila

Iris pseudopumila, hier in blau

 

Wir nutzen die Gelegenheit für einen Anruf beim botanischen Institut der Universität Catania. Schon im Vorfeld unserer Reise hatten wir nämlich mit dem dort beschäftigten Dr. Rosario Galesi Kontakt aufgenommen. Durch einen Artikel über die Orchideen der Gegend von Niscemi (1995) waren wir auf ihn aufmerksam geworden. In einem Brief hatte er uns gebeten, doch anzurufen, wenn wir in Sizilien wären. Er könnte uns einige Tips geben. Aber niemand will uns so recht verstehen, dabei ist mein Englisch eigentlich nicht so schlecht. Nachdem wir immer wieder ohne Ergabnis weitervermittelt werden, verzichten wir auf eine weitere Nachfrage. Wir haben schliesslich genug Tips und selber Augen im Kopf und ein Gespür zum Suchen.

 

Sizilianischer Pillendreher

Unermüdlich bei der Arbeit: Sizilianischer Pillendreher

 

Mal sehen, was es in dem aufgelassenen Garten- und Weidegelände rechts der Strasse so gibt. Viel ist es nicht. Dennoch ist der Standort einmalig, denn wir finden neben einer genetisch verformten Ophrys tenthredinifera auch noch rund 1 Dutzend Pflanzen von Serapias vomeracea mit bizarr verformten Blüten. Weiteres Material für unsere Homepage unter der Rubrik Strukturanomalien.

 

Bei der Einmündung eines Feldweges dann der nächste Halt. Es war eine gute Entscheidung. Insbesondere die in Gruppen aufblühenden Ophrys bertolonii und schöne Ophrys speculum entzücken uns. Darüber hinaus finden wir die hübschen Mittagsiris, deren Blüten sich nun nach und nach öffnen, sowie ein Exemplar einer später blühenden, grossblütigen Ophrys fusca, die wir nicht zuordnen können. Vielleicht kann der Fotovergleich zu Ophrys fusca (bilunulata) dem Leser Aufschluss geben. Hier nutzen wir die Gelegenheit zu einem kurzen Telefonanruf zuhause. Es ist schon ein besonderes Gefühl, im Gelände, weit ab von Siedlungen neben den Orchideen zu sitzen und über das Handy mit der über Tausend Kilometer entfernten Familie zu sprechen. Der Fortschritt hat auch seine guten Seiten.

 

Bestände von Ophrys sicula

Ophrys sicula ist auf Sizilen sehr häufig und bildet an geeigneten Standorten dichte Bestände

Nachdem wir uns hier richtig ausgetobt haben, fahren wir zurück nach Buccheri. Genug haben wir für heute aber noch nicht. So fahren wir nochmals zu einem Standort, den wir bei einer anderen Ausfahrt schon vom Wagen aus gesichtet, aber nicht angehalten hatten. Es sind die ausgedehnten Weideflächen auf der Hochfläche von Buccheri. Hier oben blüht Orchis longicornu und Orchis lactea zu Hunderten. Wunderbar. Weniger schön ist der schneidend kalte und böige Wind hier oben. Ohne Anorak geht es nicht. Besonders freut uns der Fund von zwei reinweissen Orchis lactea und einiger Hybriden zwischen Orchis papilionacea papilionacea und Orchis longicornu, die offensichtlich doch nicht so selten sind wie wir nach den ersten zwei Exkursionstagen vermutet hatten.

 

Weiter geht's zu dem Wäldchen, wo wir am 11. April bei Dunkelheit zwei Orchis provincialis entdeckt hatten. Es ist ein wirklich schönen Standort. Zwar gibt es kaum Ragwurz, dafür aber Orchis longicornu, Orchis lactea und Orchis papilionacea papilionacea zu Tausenden. Man kann kaum einen Schritt tun, ohne eine der Pflanzen umzutreten. Auch Orchis provincialis und Hybriden zwischen Schmetterling und langspornigem Knabenkraut sind gar nicht so selten hier. Wir schauen uns genau um, es muss doch irgendwo auch mal eine Hybride zwischen Orchis lactea und Orchis longicornu zu finden sein. Dermassen fixiert fällt und plötzlich eine Dreiergruppe auf. Das muss eine sein. Die genauere, nüchterne Analyse ergibt jedoch, dass es sich "nur" um Orchis tridentata handelt. Der Sizilien-Endemit Orchis commutata, der sich von Orchis tridentata durch ungefähr doppelt so grosse Blütendimensionen unterscheidet, ist es nicht. Ihn werden wir während unseres Aufenthaltes leider nicht finden. Vermutlich ist er noch nicht aufgeblüht. Auch Orchis tridentata steht schliesslich erst am Blühbeginn.

 

Blick auf Buccheri

Buccheri mit dem Monte Lauro

Dann sei noch von einem Erlebnis berichtet. Da wir uns entschlossen haben, am nächsten Tag einen Ausflug in die Gegend von Palermo zu unternehmen, wollen wir am Abend noch volltanken. In Buccheri fahren wir also die Hauptstrasse entlang auf der Suche nach einer Tankstelle. Gegen 19 Uhr sind alle männlichen, gehfähigen Sizilianer auf dem Dorfplatz und in den Hauptstrassen unterwegs. Da darf auch unser Chef nicht fehlen. Er erklärt uns den Weg (etwas kompliziert), so dass ich nachfrage (where?). Er antwortet genervt: where, where, where? Dann macht er die Autotüre auf bis zum Anschlag, in diesem Fall eine Geländer, steigt ein und meint: losfahren. So dirigiert er uns zur Tankstelle, die wirklich nicht leicht zu finden ist. Das ist halt seine Art. rauh, aber herzlich. Jedenfalls kümmert er sich rührend um uns. Mit 88,6 Kilometern sind wir heute zwar wenig gefahren. Dafür haben wir umso mehr entdeckt.

 

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