ORCHIDEEN EUROPAS
EXKURSIONSBERICHTE
 

 

 

Bericht über eine Orchideenreise nach

Sizilien

im April 1999

Teil VII

von

Dr. Helmuth Zelesny, Börtlingen

 

Freitag, 16. April

Heute ist ein ganz besonderer Tag. Robert hat Geburtstag. Dass da das Wetter schön wird, ist selbstverständlich. Die Nebel sind verzogen, aber ist es ziemlich dunstig. Da macht eine Ätnatour heute keinen Sinn. Vielleicht morgen, wenn wir sowieso nach Catania zum Flugplatz müssen. Als erstes schalten wir das Handy ein, damit Robert seine Geburtstagswünsche entgegennehmen kann. Aber dann wollen wir wieder los, für Robert ein Geburtstagsgeschenk suchen. Aber heute gemütlich. Wir wollen uns einfach mal da, mal dort umsehen.

 

Natternkopf, nur welcher?

Noch ein Albino: Diesen Natternkopf konnten wir leider nicht bestimmen

Zum ersten Mal halten wir vor Ferla, denn die Stimmung ist beeindruckend. Von Süden werden die Wolken gegen die Monts Iblei getrieben. Nach Norden zu stürzen sie dann förmlich mit grosser Geschwindigkeit über den Kamm zu Tal und lösen sich weitgehend auf. Das typische Fön-Phänomen. Jetzt fehlt uns mal wieder Madeleine's Kamera, denn im Dia ist diese Stimmung und Bewegung nur schwer festzuhalten. Kaum ausgesprochen klingelt auch schon das Telefon. Madeleine überbringt herzliche Geburtstagsgrüsse. Wie wenn sie uns gehört hätte.

Dann fahren wir weiter. In den extensiv genutzten Weideflächen und Olivieten an der Strasse soll es laut Literatur Ophrys lacaitae geben. Das wäre doch ein schönes Geburtstagsgeschenk! Wir schauen uns um, finden aber wenig Orchideen. Immerhin wird deutlich, dass die Vegetation hier weiter entwickelt ist als an den meisten anderen Standorten. Vielleicht haben wir ja heute doch Glück mit unserer lacaitae. Dafür begeistert uns der herrliche Gesang der Nachtigall. Interessant ist der Fund von Serapias lingua. Zum ersten Mal während dieser Exkusion finden wir diese, gut zu identifizierende Serapias-Art. Von Ophrys lacaitae aber keine Spur.

 

Orchis brancifortii

Lange haben wir vergeblich danach gesucht: Orchis brancifortii. Dann haben wir dieses Knabenkraut doch noch gefunden, und zwar dort, wo es eigentlich gar nicht vorkommen sollte, nämlich bei Buccheri. Die Art ersetzt auf Sizilien und Sardinien Orchis quadripunctata.

 

Als nächstes halten wir an einem der schönsten Orchideenplätze unserer Reise. Hier hatten wir uns schon mal umgesehen und jetzt in der Literatur festgestellt, dass es hier unter anderem Ophrys lacaitae geben soll, Grund genug, diesmal ausgiebig das Gelände abzusuchen. Interessant ist vor allem das Gelände rechts der Strasse, hangaufwärts. Leider wurde die Fläche vor wenigen Jahren aufgeforstet. Mit roher Gewalt und schwerem Gerät wurden tiefe Schneisen geschlagen und Kiefern in Reih und Glied gepflanzt. Nur die besonders felsigen Stellen wurden verschont. Gerade dort finden wir denn auch die meisten Orchideen.

Leider ist zu befürchten, dass die Fläche mit zunehmender Beschattung in wenigen Jahren kein guter Lebensraum für Orchideen mehr sein wird. So wird es denjenigen, die in 15 Jahren mit unserer Liste in der Hand hier suchen ähnlich ergehen wie uns mit den alten Standortsangaben. Sie werden sich fragen, wo denn all die schönen Orchideen sind, die hier in der Liste stehen.

Noch aber ist die Fläche ein Eldorado für Orchideenliebhaber. Mit insgesamt 22 verschiedenen Orchideenarten und einer Hybride ist dies der vielfältigste Standort den wir finden werden. An die 2 Stunden halten wir uns auf und durchkämmen förmlich das Gelände, langweilig wird es nicht. So können wir mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass jetzt hier keine Ophrys lacaitae blüht. Wir hätten diese auffällige Art sonst sehen müssen. Es ist einfach noch zu früh im Jahr. Zwischendurch telefonieren wir noch mit dem Flughafen, um unseren Rückflug bestätigen zu lassen. Es ist schon eine feine Sache. Mitten in den Orchideen kann man so seine Geschäfte erledigen. Ohne Handy hätten wir zwischen 10 und 12 Uhr die Suche abbrechen und eine Telefonzelle suchen müssen. Und wer weiss, ob wir eine gefunden hätten.

 

. Hier exemplarisch die Orchideenliste um den Reichtum an Arten zu verdeutlichen: Ophrys speculum (zerstreut, blühend), Ophrys lutea (zerstreut, blühend), Ophrys sicula (zerstreut, blühend), Serapias vomeracea (zerstreut, aufblühend), Orchis lactea (vereinzelt, verblüht), Ophrys melena (1 Ex., blühend), Orchis papilionacea papilionacea (vereinzelt, blühend), Orchis italica (vereinzelt, blühend), Serapias bergonii (vereinzelt, aufblühend), Ophrys atrata (vereinzelt, blühend-verblühend), Ophrys lunulata (vereinzelt, blühend), Ophrys fusca (zerstreut, verblühend-verblüht), Ophrys biancae (zerstreut, blühend), Orchis longicornu (vereinzelt, blühend-verblühend), Ophrys oxyrhynchos (vereinzelt, blühend), Ophrys fusca (bilunulata) (vereinzelt, blühend), Orchis collina (vereinzelt, verblüht), Barlia robertiana (vereinzelt, verblüht-fruchtend), Ophrys bertolonii (vereinzelt, blühend), Ophrys tenthredinifera (zerstreut, blühend-verblüht), Aceras anthropophorum x Orchis italica (1 Ex., blühend), Orchis italica rubra (11. April, 1 Ex., blühend), Ophrys panormitana (11. April, vereinzelt, verblühend), Ophrys tenthred. x O. biancae (11. April, 1 Ex., blühend).

 

Ophrys speculum und Ophrys atrata

Manchmal stehen verschiedene Arten so dicht beisammen wie hier Ophrys speculum und Ophrys atrata. Trotzdem haben wir eine Hybride zwischen beiden vergeblich gesucht.

Wir fahren rund 500 Meter weiter. Die meisten Orchideen wachsen hier am Strassenrand. An einer Stelle steht Ophrys speculum so dicht, dass man nicht durchlaufen kann ohne einzelne Exemplare zu zertreten. Ganz dicht dabei steht Ophrys atrata, aber - es ist zum Mäusemelken - eben kein Hybride, wo doch eine speculum-Hybride so schön wäre. Die Flächen unterhalb und oberhalb der Strasse sind weniger ergiebig. Allerdings bekomme ich einen gehörigen Schreck, als ich fast auf eine Äskulappnatter trete und die dann ganz verschreckt blitzartig das Weite sucht. Auf nur rund 100 Metern Strassenrand (!) finden wir 10 Arten mit unterschiedlicher Häufigkeit.

Nächster Standort. Unterhalb liegt eine Weide, wobei ein Dreieck innerhalb des Kurvenradius aus der Weide ausgeklammert ist. Überhalb wächst lichter Kiefernwald. So wird denn die Orchideenliste immer länger. Den Strassenrand abzulaufen erweist sich hier als Glücksfall, denn so entdecken wir zwei Albinos der Spiegelragwurz in Blüte. Nur die Randbehaarung ist hellbraun, der Rest gelb, so wie man es manchmal bei dieser Art finden kann. Das erste Geburtstagsgeschenk für Robert ist also gefunden.

Noch eine Geschichte soll erzählt sein. Ein menschliches Bedürfnis treibt mich in den Wald. Auf der Suche nach einem geeigneten Plätzchen laufe ich an vereinzelten, herrlichen Ophrys lunulata und Ophrys tenthredinifera vorbei. Und plötzlich steht sie vor mir. Nicht lunulata, nicht tenthredinifera. Es ist eine bildschönde Hybride zwischen beiden. Na wenn das kein Geburtstagsgeschenk ist! Auch Robert ist begeistert.

Wir fahren zurück. Dort, wo wir uns schon am Vormittag ausführlich, aber leider vergeblich nach Ophrys lacaitae umgesehen haben, müssen wir erneut anhalten. Der Aspekt hat sich über Mittag total gewandelt. Am Vormittag war uns die Mittagsiris kaum aufgefallen. Jetzt aber, gegen 16 Uhr, ist der Boden übersät mit Tausenden der schmucken Blüten, welch eine Pracht. Wie treffend ist doch der Name.

Wir fahren langsam weiter, den Blick halb auf die Strasse, halb aufs Gelände gerichtet. Da plötzlich im Vorbeihuschen, war das nicht ein... genau ein Orchiaceras! Ich halte an. Robert schaut verwundert, als ich ihn frage, ob er noch ein Geburtstagsgeschenk möchte. Wer ist da schon abgeneigt. Also Rückwärtsgang rein und tatsächlich: An der Strassenböschung steht sie, eine wunderschöne, zur Hälfte aufgeblühte Hybride zwischen Aceras anthropophorum und Orchis italica. Wir hatten uns schon gewundert, denn in anderen Gegenden Italiens, beispielsweise dem Monte Argentario oder dem Monte Gargano ist diese Gattungshybride zwar sehr selten, aber doch immer wieder mal zu finden. Dieser hier wird der einzige unserer Sizilienexkursion bleiben. Wieder wird die Kamera gezückt, der vierte Film an diesem Tag wird voll. Es ist unvermeidbar.

Und weil's so schön war, wollen wir uns die rote Orchis italica nochmals ansehen. Vor wenigen Tagen, als wir das erste Mal hier waren, war es schon sehr spät am Tag und das Licht für eine Aufnahme ohne Blitz nicht mehr so gut. Aber wo ist sie bloss? Ich habe zwar ein schlechtes Namensgedächtnis, aber optisch geht's ganz gut. Ich weiss genau, wo es war. Und siehe da, ich finde die Blattrosette mit ihren grossen, länglichen, fast schwarzen Flecken auf den Blättern. Der Blütenstand ist abgerissen. Da alle anderen Pflanzen in der Umgebung unversehrt sind ist es klar: Da war wieder einmal ein "Orchideenliebhaber" zu Werke. So eine Sauerei. Geohrfeigt gehören diese Kerle. Hoffentlich entdeckt er nicht auch noch den Orchiaceras.

Nicht unerwähnt bleiben sollen zwei weitere Albinos, die wir hier gefunden haben. Es ist einmal Tragopogon porrifolius und zum anderen ein niederliegender Natternkopf mit kleinen, normalerweise himmelblauen Blüten. Wir haben noch ein bisschen Zeit und halten deshalb nochmals an. An einer Strassengabelung, rechts steigt das Gelände an, links der Strasse liegen Weiden und Felder. Als erstes fotografieren wir die beiden Lupinenarten, die hier so schön beisammen wachsen. Es sind zum einen Lupinus varius, zum anderen Lupinus angustifolius. Dann inspiziere ich die freie Fläche links der Strasse und bin insbesondere über die schönen Ophrys atrata und Ophrys bertolonii überrascht. Das hätte ich hier nicht vermutet. Auch hier schaue ich jede einzelne an, immer noch auf der Suche nach einer Hybride. Ich bin noch nicht fertig, da ruft mir Robert, ich solle kommen, er hätte etwas gefunden, das mich bestimmt interessiert. Also gehe ich hinüber über die Strasse. Am besten zitiere ich die Tonbandaufzeichung: "...und dann hat Robert noch was ganz geheimnisvolles entdeckt noch, ja was denn? Hä? Jetzt hat der Robert sich noch selber sein Gebutrtstagsgeschenk gemacht für heute, mämlich brancifortii, ja unglaublich", so was. Haben wir sie also doch noch gefunden, am vorletzten Tag, die Orchis brancifortii, dort wo wir sie nicht erwartet hatten. So geht es oft. Das, was man sucht findet man nicht, dafür was anderes, oft genauso interessantes. Das, was man gesucht hat, findet man dann ein anders mal, wenn man es nicht mehr erwartet, an anderer Stelle.

Orchis brancifortii ist endemisch auf Sardinien und Sizilien und nahe verwandt mit Orchis quadripunctata. Die Blüten sind überraschend klein und nicht mal im Massstab 2:1 formatfüllend abzulichten. 3 Pflanzen beginnen zu blühen, sicher kann man einige Tage später mehr davon finden. Interessant ist dieser Fund deshalb, weil in der umfassenden Studie zum Optima-Projekt der Kartierung der Orchideen im Mittelmeerraum diese Art nur für den Nordteil der Insel angegeben ist. Eine Verwechslung ist ausgeschlossen.

 

Nach 48 Kilometern Fahrt an diesem Tag sind wir wieder im Hotel, zur Geburtstagsfeier. Leider hat der Chef mich am Abend zuvor nicht richtig verstanden. Eigentlich hatte ich einen Geburtstagskuchen für Robert bestellt. Stattdessen bekommt jeder von uns zum Nachtisch ein Stück Kuchen. Da kann man nichts machen. Viel schlimmer ist, dass wir heute den Hauswein nicht wollen. Der Chef ist ganz entsetzt, als wir den schon auf dem Tisch stehenden Krug zurückreichen und stattdessen um eine Flasche "besonders aussergewöhnlich guten" Weins bitten. "You don't want my wine???" Aber schliesslich hat er doch Verständnis für die besondere Situation. Dafür stellt uns der Chef - als Digestiv sozusagen - eine Flasche Grappa und eine Flasche des süssen, aber leckeren Zitronenlikörs auf den Tisch, zur Selbstbedienung.

 

Gruppenbild mit "Chef"

Der Chef höchstpersönlich beim Gruppenfoto mit den Exkursionsteilnehmern

Ferula communis

Über mannshoch wird Ferula communis, die wir insbesondere bei Catania und in der Umgebung des Ätna blühend fanden

Die Stimmung steigt, auch ein Eis muss noch rein. Auf unsere Frage, ob denn die Rechnung schon fertig sei antwortet der Chef ganz cool: "Immer locker und ruhig bleiben, ihr seid in Ferien, das machen wir morgen". So geht der Tag zuende. Es ist sehr windig und ungewöhnlich mild, wie die ganze Woche in Buccheri nicht. Der Blick aus dem geöffneten Fenster bestätigt: Es ist draussen wesentlich wärmer als im Hotelzimmer. Grund ist der Scirocco, ein heisser Wind, der von der Sahara herüberweht. Leider hat er eine unangenehme Eigenschaft: Er trägt viel Sand mit sich, die Sicht ist entsprechend schlecht. Unseren Ätnaausflug morgen haken wir damit ab.

 

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